Jerry Cotton - 2904 - Nur eine Leiche tilgt die Schuld
Handschellen.
»Vielen Dank«, sagte sie. »Das war eine gute Vorstellung. Und was ist mit Michelle? Geht es ihr gut?«
»Den Umständen entsprechend«, antwortete Phil. »Sie hat einiges einstecken müssen. Ziemlich übler Kerl, ihr Zuhälter. Und die Freier waren ebenfalls brutal. Aber jetzt ist sie in Sicherheit. Wir können Sie zu ihr bringen, wenn Sie möchten.«
Miss Tenehati nickte. »Ja, das wäre am besten. Wir wollen die Stadt zusammen verlassen. Hier bleiben können wir nicht. Sonst findet uns Oldman noch.«
»Das wollten wir Ihnen auch raten«, sagte ich. »New York ist zwar groß, aber in mancher Beziehung auch ein Dorf. Besser Sie versuchen woanders Ihr Glück. Da wir die Aussage Ihrer Freundin zur Verurteilung ihres Zuhälters, Thomas Windgard, wahrscheinlich noch benötigen, werden wir Sie bis zur Verhandlung an einem sicheren Ort unterbringen.«
»Danke«, erwiderte sie und bekam feuchte Augen.
Wir fuhren zum FBI Field Office, wo sich die beiden Frauen wiedersahen und vor Freude umarmten. Anschließend gab uns Miss Tenehati noch ein paar Tipps für unsere Ermittlungen. Sie hatte einiges aufgeschnappt, was uns vielleicht helfen konnte, Namen von Zuhältern, die ziemlich brutal waren oder – genau wie Thomas Windgard – gewalttätigen Freiern spezielle Dienste zur Verfügung stellten.
Wir bedanken uns bei ihr und übergaben die beiden Frauen zwei Kollegen, die sich weiter um sie kümmern würden.
»Wollen wir hoffen, dass die beiden die Kurve kriegen und sich in Zukunft nicht mehr prostituieren«, meinte Phil.
Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Menschen können sich ändern. Und nach dem, was die beiden durchgemacht haben, denke ich, dass sie gute Chancen haben.«
»Und, habe ich was verpasst?«, fragte Detective Cunningham, die kurz danach in unserem Büro auftauchte.
»Eine rührende Abschiedsszene«, sagte ich lächelnd. »Aber Sie kommen gerade rechtzeitig, um zusammen mit uns die Prostitutionsszene von Manhattan und der Bronx auf den Kopf zu stellen. Miss Tenehati hat uns ein paar gute Tipps gegeben und wir wollten einige unserer Informanten kontaktieren. Da möchten Sie sicher mit von der Partie sein, nicht wahr?«
»Absolut«, stimmte sie mir zu. »Ich kann es kaum erwarten, die Unterwelt auf den Kopf zu stellen.«
»Unser Hauptaugenmerk gilt gewalttätigen Freiern, Zuhältern, die das tolerieren oder sogar daran verdienen, und den Opfern«, sagte ich. »Entwerfen wir also einen Plan, wie wir vorgehen.«
Wir setzten uns zusammen, bestimmten die ersten Stationen unseres Vorgehens und legten los. Dabei wurden wir von weiteren Agents unterstützt, die Mr High uns zur Verfügung gestellt hatte.
Anschließend waren wir den ganzen Tag unterwegs, kontaktierten Informanten, führten Gespräche, sammelten Namen von gewalttätigen Freiern und nahmen auch einige Verhaftungen vor.
All das brachte uns letzten Endes aber nicht weiter. Von der Täterin, die wir suchten, fehlte nach wie vor jede Spur.
***
Es war halb zehn, als es bei Thomas Pullham klingelte. Er trug noch seinen Morgenmantel und stand gerade in der Küche, um sein Frühstück fertig zu machen.
»Wer stört denn jetzt schon wieder?«, sagte er gereizt zu sich selbst und ging an die Gegensprechanlage.
»Ein Paket für Mister Pullham«, sagte eine angenehm klingende Stimme.
»Kommen Sie hoch, erster Stock«, sagte Pullham und versuchte, nicht allzu gereizt zu klingen.
Irgendwie war seine Stimmung an diesem Morgen nicht besonders. Mit den Geschäften lief es nicht so gut und er hatte schlecht geschlafen.
Er raffte seinen Morgenmantel zusammen, ging zur Tür und öffnete sie. Eine schlanke Gestalt kam die Treppe hoch und blieb so vor der Türschwelle zu seiner Wohnung stehen, dass er sie genau mustern konnte. Als sie den Kopf hob, zeigte sich unter der Mütze, die tief ins Gesicht gezogen war, das Antlitz einer schönen Frau.
Irgendwie machte die Situation Pullham an und er sagte lächelnd: »Kommen Sie doch rein, dann kann ich die Annahme quittieren.«
Die Frau kam seiner Aufforderung nach und betrat die Wohnung. Er schloss die Tür und zeigte ihr den Weg ins Wohnzimmer. Sie wirkte etwas steif, das konnte er sehen.
»Ganz locker, ich bin ein netter Kerl«, sagte er.
Sie drehte sich um und jetzt sah er ihre von Zorn erfüllten Augen. »Da habe ich aber was ganz anderes gehört.«
Einen Augenblick lang war er überrascht, denn das hatte er nicht erwartet. Einen Augenblick lang, die letzten Sekunden seines Lebens. Das
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