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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Kunstschinken mit traurig dreinblickenden und ausschweifend daherphilosophierenden Kettenrauchern in Großaufnahme – nein, ein
richtiger, echter und ehrlicher Unterhaltungsfilm sollte es werden! Einer mit nachvollziehbarer Handlung, schönen Dekorationen, pompöser Musik, einer Handvoll einigermaßen bekannter
Schauspieler und überhaupt mit allem Drum und Dran.
    Dementsprechend befand sich die Stadt in Aufruhr. Die Gespräche im Friseursalon drehten sich um nichts anderes mehr. Aber auch überall sonst gab es praktisch kein anderes Thema. In
allen Läden und Geschäften, in öffentlichen Einrichtungen und Toiletten, in Büros, in Kneipen, in Lehrerzimmern, in der Fußgängerzone, im Marienmond und in den
Kindergärten, überall wurde vom Fernsehen und den damit verbundenen Chancen, Möglichkeiten und Perspektiven gesprochen. Im Rathaus wurden Imagestrategien und Tourismuskonzepte
erörtert, bis die Köpfe heißliefen, schließlich wollte die Stadt im rechten Licht wahrgenommen werden, beziehungsweise wollte überhaupt zum ersten Mal von irgendjemandem
wahrgenommen werden. In der Hermann-Conradi-Gesamtschule wurde ein Schwerpunktmonat zum Thema »Medium Fernsehen« ausgerufen, in den Kindergärten bastelte man aus Klopapierrollen
kleine Mikrofone und Kameras und im Marienmond debattierte man aufgeregt über die zu erwartenden Stars, insbesondere über deren Frisuren, Titten und Ärsche.
    Schließlich kamen sie. Ein ganzer Konvoi tauchte im silbrigen Morgenflimmern am Horizont auf: Licht- und Kranwagen, Equipment- und Garderobenwagen, Maskenund Cateringautos, Wohnmobile
für die Schauspieler, ein ausrangierter Schulbus für die Komparsen und so weiter. Am Straßenrand standen mit leuchtenden Gesichtern und offenen Mündern die Stadtbewohner und
winkten der kleinen Kolonne zu wie bei einer Staatsparade.
    Nach der Begrüßung durch den Bürgermeister und einem musikalisch ziemlich verrutschten Willkommensgruß der Kinderblasmusikkapelle verteilte sich das Filmteam auf alle
verfügbaren Unterkünfte der Stadt, und schon am nächsten Morgen begannen die Dreharbeiten.
    Der Platz vor dem Rathaus wurde abgesperrt, eine rotgesichtige Aufnahmeleiterin rannte auf und ab und schrie beständig in ihr Funkgerät hinein, der Beleuchtungschef trieb mit heiser
gebrüllten Anweisungen ein paar Jungs in karierten Hemden an, die mit affenartiger Geschicklichkeit auf hohen Gestellen herumkletterten, um Scheinwerfer und riesige Lichtsegel zu montierten.
Schienen wurden verlegt, Kabel justiert, Keile gesetzt, Markierungen geklebt, Tischchen mit Kaffee und belegten Broten aufgestellt, während die Schaulustigen sich neugierig hinter den
Absperrungen drängelten und um die besten Plätze stritten.
    Zwei schmächtige Burschen bauten die Kamera auf, ein schwarzes, stilles Ungetüm voller Geheimnisse. Daneben hockte der Tonmeister, der mit seinen gewaltigen Kopfhörern auf den
Ohren wie eine fette Fliege aussah. Konzentriert drehte er an den Knöpfen seiner Tonanlage und schien über ein dünnes Kabel einen brustschwachen Jungen zu dirigieren, der mit einer
langen Mikrofonstange in der Gegend herumstolperte.
    Ein Raunen ging durch die Menge. Die Tür eines Wohnmobiles hatte sich geöffnet, und der Regisseur betrat das Rathauspflaster. Es war ein älterer Herr mit einem müdem Blick
und einer schiefen, ziemlich künstlerisch anmutenden Mütze auf dem Kopf. Langsam und mit watschelndem Gang überquerte er den ganzen Platz, ließ sich in den bereitgestellten
Regiestuhl plumpsen und rührte sich nicht mehr.
    Hinter dem Regisseur tauchten der Reihe nach auf: der Kameramann (groß, schlaksig, triefender Blick), der Produzent (winzig, feist, rosagesichtig), seine Assistentin (prall, bunt, dumm)
und der Regieassistent, ein zartes Bürschchen mit leuchtend roten Haaren, blassblauen Augen und einem verzogenen Schnöselmündchen im schneeweißen Gesicht.
    Dann ein weiteres Raunen, noch erregter, noch eindringlicher als das erste. Die Darsteller betraten die Szene. Zwei Damen, ein Herr. Nicht gerade die erste Riege, eigentlich nicht einmal die
zweite. Im Grunde genommen musste man vielleicht sogar zugeben, die drei überhaupt noch nie in der Öffentlichkeit gesehen zu haben. Aber das machte nichts, denn sie waren schön.
Schlanke Gestalten, aufrechte Körper, ebenförmige Gesichter und strahlende Blicke. Die Kostüme waren eine Sensation, figurbetont und farbenfroh. Die Frisuren saßen wie
angekleistert, und die Schminke war fast

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