Jhereg
glauben, daß Mellar bescheuert ist. Nein, entweder wußte er, wie er lebendig aus der ganzen Sache hervorgehen würde, oder … oder …
Klick, klick, klick. Eins nach dem anderen paßte plötzlich alles zusammen. Klick, klick, wumm! Mellars Gesichtsausdruck, die Handlungsweise der Leibwächter, das Hineinkämpfen in das Haus der Dzur, alles paßte jetzt. Ich war von Ehrfurcht erfüllt angesichts dieses Plans. Das war sagenhaft! Gegen meinen Willen verspürte ich Bewunderung.
»Was ist denn, Vlad?«
»Was ist denn, Boß?«
Ich konnte nur den Kopf schütteln. Der Dolch, den ich in die Luft geworfen hatte, kam wieder runter, aber ich war so baff, daß ich ihn nicht auffing. Er landete auf meinem Fuß, und es war pures Glück, daß der Griff zuerst aufschlug. Aber ich glaube, selbst wenn die Spitze sich in meine Zehen gebohrt hätte, wäre es mir nicht aufgefallen. Das war so verdammt prachtvoll! Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich es übers Herz brächte, ihn zu stoppen, selbst wenn mir etwas einfallen würde. Es war so perfekt! Soweit ich es überblicken konnte, hatte er in den Hunderten von Jahren des Planens und Ausführens nicht einen Fehler gemacht! Das war unglaublich. Mir gingen die Adjektive aus.
»Verdammt, Vlad! Rede! Was ist los?«
»Du müßtest es doch wissen«, gab ich zurück.
»Was?«
»Du hast als erster darauf hingedeutet, ein paarmal, neulich. Verra! War das erst gestern oder vorgestern? Kommt mir vor wie ein paar Jahre …«
»Worauf hab ich hingedeutet? Verdammt, erzähl endlich!« grollte Kragar.
»Du hast mir doch erzählt, wie es ist, als Mischling aufzuwachsen.«
»Und?«
»Und trotzdem konnten wir ihn uns nur als Jhereg vorstellen.«
»Er ist ja auch ein Jhereg.«
Ich schüttelte den Kopf. »Genetisch betrachtet nicht.«
»Was haben denn die Gene damit zu tun?«
»Alles. Da hätte es mir klar werden müssen; als Aliera mir erklärt hat, was es eigentlich bedeutet, einem bestimmten Haus anzugehören. Verstehst du nicht, Kragar? Ach nein, das kannst du ja nicht. Du bist ein Jhereg, und du – wir – sehen die Dinge verschieden. Es stimmt aber. Du kannst dein Haus nicht verleugnen, wenn du Dragaeraner bist. Sieh dich doch an, Kragar. Um mein Leben zu retten, mußtest du meine Befehle mißachten. Das ist ganz und gar nicht normal für einen Jhereg – ein Jhereg würde nur dann seine Befehle mißachten, wenn er seinen Boß töten wollte. Aber ein Dragon, Kragar, ein Dragon stellt manchmal fest, daß er nur dann die Wünsche seines Kommandanten erfüllen kann, wenn er seinen Ordern zuwiderhandelt, und tut, was getan werden muß, und er riskiert wenn nötig sogar das Kriegsgericht.
Das hat der Dragon in dir getan, trotz deiner Abneigung gegen die Dragon. Für einen Dragaeraner steht sein Haus über allem. Über seinem Lebensstil, seinen Zielen, seinen Fähigkeiten, seinen Stärken, seinen Schwächen. Da gibt es nichts, gar nichts, das größeren Einfluß auf einen Dragaeraner hat als sein Haus. Als das Haus, in das er geboren wurde, ganz gleich, wie er aufgezogen wurde.
Bei Menschen ist das vielleicht anders, aber … Ich hätte es sehen müssen. Verdammt! Ich hätte es sehen müssen. Hundert Sachen haben darauf hingedeutet.«
»Bei meiner Liebe zum Imperium, Vlad! Worauf?«
»Kragar«, sagte ich und beruhigte mich ein wenig, »überleg doch mal. Dieser Kerl ist nicht bloß ein Jhereg, er hat auch die Blutgier eines Dragon und das Heldentum eines Dzur.«
»Und?«
»Und jetzt sieh mal in deine Aufzeichnungen, alter Freund. Erinnerst du dich an seinen Vater? Warum findest du nicht noch mehr über ihn heraus? Na los, forsch noch ein bißchen. Aber ich kann dir gleich sagen, worauf du stoßen wirst.
Sein Vater hat jemanden umgebracht, einen anderen Jhereg, kurz vor dem Interregnum. Der Jhereg, den er getötet hat, stand unter dem Schutz eines Dragonlords, und zwar Lord Adrons. Mellar hat den Plan nicht ausgebrütet, um Jhereg-Gold zu kassieren und lebendig davonzukommen – der eigentliche Sinn war, getötet zu werden. Über dreihundert Jahre lang hat er alles so geplant, daß man ihn umbringt, vielleicht sogar mit einer Morgantiwaffe; das war ihm egal. Und er würde sterben, und die Informationen über die Dzur, die er verstreut hatte, würden ans Licht gebracht, und ihr Name würde mit Schmutz besudelt werden. Und gleichzeitig würden die Häuser, die er am meisten haßt, die Dragon und die Jhereg, sich gegenseitig zerstören. Das Ganze ist aus Rache angezettelt
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