Jillian Hunter
nen Boscastle-Clan auf seine Seite zu ziehen würde auf jeden Fall seine nächste große Aufgabe sein. Vermutlich wäre das
die schwerste Prüfung, die er je bewältigt hatte.
„Dominic", flüsterte sie an seinem Mund, „wage es nicht, mir je wieder so etwas anzutun."
Er lachte. Seine Stimme war tief und heiser. „Ich glaube, das steht vollkommen außer Frage."
Ihre blauen Augen funkelten verlegen und belustigt. „Dir ist hoffentlich klar, dass wir ein Publikum haben?"
Er sah kurz auf, und erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, welchen Eindruck er auf die erstaunten Beobachter auf der Galerie machen musste. „Carson, steh nicht da und glotz mich an wie ein Karpfen. Hol mir Badewasser und et- was Frisches zum Anziehen."
Der erstaunte Lakai blinzelte. „Aber ... aber ... Sie ..."
„Sie glauben immer noch, dass du ein Geist bist", flüsterte Chloe und unterdrückte einKichern.
Dominic lächelte zu ihr hinunter und zog sie noch enger an sich. „Ich schätze nicht, dass ich sie so lange in diesem Glau- ben lassen kann, bis wir beide hier draußen sind?"
Chloe blickte aus den Augenwinkeln zu ihrer Tante. „Es scheint mir nicht sehr wahrscheinlich. Du wirst ihnen wohl alles erklären müssen." Sie zögerte. „Wo ist mein Onkel? Und Adrian?"
Sanft nahm Dominic ihr Gesicht in die Hände. Er hatte nur für diesen Augenblick gelebt, dafür, zu dieser starrköpfigen Frau zurückzukehren, die er liebte. Die unsagbare Erleichte- rung in ihren Augen war der einzige Lohn, den er brauchte, der Beweis, dass er richtig gehandelt hatte.
Jetzt war er an der Reihe, sie zu schützen, ihr auf eine ange- messenere Art den Hof zu machen und ihr zu beweisen, dass er sie nicht nur als Geist lieben konnte.
„Chloe", sagte er zärtlich und legte die Hände auf ihre Schultern. „Ich würde dich gerne ewig weiterküssen und all diese Leute fortschicken, aber es sieht so aus, als müsste ich mir nun, da ich erneut zum Leben erwacht bin, wieder das standesgemäße Benehmen eines Gentlemans aneignen."
Sie seufzte, als sie auseinandergingen. „Wenn es sein muss."
Er streckte die Schultern. Nun, da seine Leiden vorüber waren, würde es ihm körperlich wehtun, sie auch nur außer
Sichtweite zu lassen. Er hatte zugesehen, wie sein Feind ge- storben war, und vielleicht hätte er mehr Reue dabei empfin- den sollen. Auf jeden Fall hoffte er, dass er solchem Unheil nie wieder ins Gesicht blicken musste, aber den Colonel zu kon- frontieren war die einzige Möglichkeit gewesen, wie er mit sich selbst leben und das Gedächtnis seines Bruders ehren konnte. Jetzt konnte er nach vorne blicken. Er wollte die Ver- gangenheit aus seinen Gedanken verbannen und sich auf das Gute in seinem Leben konzentrieren, auf Chloe.
Voller Bedauern wandte er sich von ihr ab. Ihre Tante be- trachtete ihn mit einem ziemlich bedrohlichen Gesichtsaus- druck. Adrian und Sir Humphrey waren gerade aus dem Geheimgang getreten, klopften sich den Staub von den Klei- dern und diskutierten dabei ausgerechnet über die politische Situation in China. Finley folgte ihnen nach. Er trug das Ske- lett mit dem Umhang in den Armen und verursachte so einen weiteren kollektiven Aufschrei des Entsetzens bei den Men- schen, die in der Galerie versammelt waren.
Dominic unterdrückte das Bedürfnis, den Kopf in den Na- cken zu werfen und laut zu lachen. Wie würde er erklären, was im Dorf geschehen war? Er hatte nicht so weit vorausge- dacht. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, welche Gerüchte bald über den Geist von Stratfield, seinen knochigen Beglei- ter und die berüchtigte junge Dame aus London kursieren würden.
„Hör auf", flüsterte Chloe und biss sich auf die Lippe.
„Hör auf womit?", fragte er.
„Hör auf zu ... zu grinsen."
„Ich habe nicht gegrinst."
„Oh, doch, das hast du."
„Ich habe versucht, nicht zu lachen."
Tante Gwendolyn, die sich offensichtlich wieder von ihrem Schrecken erholt hatte, nahm es auf sich, Dominic entgegen- zutreten. „Nun, Mylord, jetzt zeigen Sie sich endlich, und Sie wirken sehr viel irdischer als beim letzten Mal, als ich Sie ge- sehen habe."
Er lächelte sie zerknirscht an. „Lady Dewhurst, ich versi- chere Ihnen, dass es eine Erklärung dafür gibt."
„Es wird eine Erklärung geben müssen."
Chloe legte die Hand auf den Arm ihrer Tante. „Tante Gwendolyn, bitte versteh doch, dass wir dich nie täuschen wollten."
„Mich täuschen? Wovon redest du?"
Chloe senkte die Stimme. Der Butler hatte sich
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