Jillian Hunter
Gelegenheit ge- ben, sein vorangegangenes Benehmen unter die Lupe zu neh- men und zu beschließen, dass er keine erstrebenswerte Partie für sie war. Es war sehr gut möglich, dass Chloe ein Kind von ihm erwartete. Er wollte sie verwöhnen und beschützen, mit ihr an seiner Seite ein neues Leben beginnen.
Kurz gesagt hatte er eine neue Herausforderung gefunden, um seine Entschlossenheit auf die Probe zu stellen - und er konnte nur hoffen, dass er ebenso erfolgreich darin sein wür- de, den braven Heiratskandidaten zu spielen wie den verfüh- rerischen Geist.
Chloe war so erleichtert darüber, Dominic in Sicherheit zu
wissen, dass sie sich nicht einmal beschwerte, als ihre Tan-
te sie und Pamela aus der Galerie scheuchte. Beim letzten
sehnsüchtigen Blick zu ihrem Liebhaber sah sie, wie er Finley
gerade dabei half, den Knochenbaron auf den Orientteppich
zu betten. Wer außer einem Mann, den man tot geglaubt hat-
te, hätte sich mit den Überresten eines anderen Mannes ange-
freundet, der auf so schreckliche Weise gestorben war?
Es war ein ziemlich herzzerreißender und zugleich lächer-
licher Anblick, zu sehen, wie Dominic das Skelett voller Res-
pekt in einer friedlichen Pose arrangierte und dann aufblickte,
um ihr zuzuzwinkern. Sie und Pamela hatten angefangen, ein
wenig respektlos zu kichern, was Tante Gwendolyn anschei-
nend den Eindruck vermittelte, als wären sie beim Anblick
des Skeletts mit dem Umhang unzurechenbar geworden. „Wie schrecklich, so etwas an einem Sonntagmittag sehen
zu müssen!", rief die Frau. „Zu meiner Zeit wäre eine junge Dame nie solchen Gräueln ausgesetzt worden."
Chloe und Pamela grinsten einander an, als sie die Treppen hinuntergeführt wurden. Chloe hätte an dieser Stelle darauf hinweisen können, dass ihre Tante es gewagt hatte, einem sehr aufsässigen Geist gegenüberzutreten, ohne sich das Ge- ringste dabei zu denken. Allem Anschein nach trug jeder in der Familie den für die Boscastles so typischen Mut in sich, egal ob männlich oder weiblich, jung oder alt.
„Danke, Tante Gwendolyn", sagte sie impulsiv, als sie die Kutsche erreichten, die draußen auf sie gewartet hatte. Plötz- lich wurde Chloe bewusst, wie schön und verzaubert Domi- nics Anwesen im Sonnenschein wirkte. In den Gärten gab es einige versteckte Lauben und sprudelnde Fontänen, schattige Spazierwege und sogar ein Labyrinth, in dem Kinder endlos spielen konnten.
„Danke wofür?", fragte Tante Gwendolyn misstrauisch, während sie ihren Hut zurechtrückte.
„Für deine wundervolle Gastfreundschaft. Weil du mir er- laubst, in deinem Haus zu wohnen, und weil du mir die Chan- ce gegeben hast, mich zu bessern."
Tante Gwendolyn schnaubte. „Hör damit auf, Chloe. Ich bin nicht so närrisch, wie du und dein Onkel zu denken schei- nen. Du hast dich ebenso wenig gebessert wie Stratfield."
„Bist du böse auf mich, Tante Gwendolyn?", fragte Chloe unschuldig.
Ihre Tante runzelte die Stirn. „Das werde ich deinen Brü- dern überlassen, die vermutlich nie wieder mit mir sprechen werden, nachdem sie erfahren haben, was unter meinem Dach geschehen ist."
Pamela blickte Chloe voller Mitgefühl an. „Müssen wir ih- nen denn unbedingt etwas davon sagen?"
„Ich weiß nicht, wie wir das Unausweichliche umgehen kön- nen", erwiderte ihre Mutter.
Chloe wusste es auch nicht, obwohl sie auf der kurzen Fahrt nach Hause angestrengt darüber nachdachte. Natür- lich würde bald jeder wissen, dass Dominic nicht tot war. Seine Geschichte würde in London eine Sensation kreieren, und die Rolle, die sie dabei gespielt hatte, würde einen neuen
Skandal verursachen.
Ja, ihr war durchaus bewusst, dass sie sich früher oder spä- ter dem Unausweichlichen stellen musste, aber sie hatte nicht erwartet, dass das Unausweichliche in der einschüchternden Gestalt ihres älteren Bruders Heath bereits im Salon auf sie wartete.
Sie hätte eigentlich ahnen können, dass einer ihrer Brüder angekommen war, zumal jedes Dienstmädchen des Hauses im Salon war und so tat, als mache sie Ordnung, während er da- saß und eine veraltete Zeitung überflog. Objektiv betrachtet erkannte Chloe seine Anziehungskraft durchaus. Er war eine eindrucksvolle, athletische Erscheinung, dabei elegant und stets höflich. Seine fein geschnittenen Züge und die von dich- ten Wimpern umrahmten blauen Augen brachten regelmäßig Frauenherzen zum Schmelzen.
Aber für sie war er einfach nur ihr Bruder Heath, das ge- heimnisvollste Mitglied der
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