Jim Knopf 02 - Jim Knopf und die Wilde 13
führte, zündete er sich an der Kerzenflamme seine Pfeife an, die ihm ausgegangen war, paffte ein paar herzhafte Züge und sagte: »Komm, Jim!«
Sie betraten den Stollen und folgten eine Weile seinen Kurven und Windungen. Die Hitze war inzwischen beträchtlich geworden.
»Ich möcht wissen«, meinte Jim, »warum es hier so warm is.«
»Das ist immer so, wenn man unter die Erdoberfläche geht«, erklärte Lukas, »je tiefer man kommt, desto heißer wird es, weil man sich dem feurigen Erdinnern nähert.«
»Aha«, murmelte Jim, »dann sind wir also jetzt sogar schon unter dem Meeresboden?«
»Scheint so«, war alles, was Lukas zur Antwort gab.
Schweigend gingen sie weiter und schützten die Flammen ihrer Kerzen mit vorgehaltenen Händen.
Plötzlich war der Gang zu Ende und die beiden Freunde traten durch eine Pforte ins Freie hinaus. Jedenfalls kam es ihnen im ersten Augenblick so vor, aber dann erkannten sie beim schwachen Schein ihrer Lichter, dass sie sich in einer riesenhaften Tropfsteinhöhle befanden. Die schimmernden Säulen und Wände verloren sich nach allen Richtungen in der Dunkelheit. Im Hintergrund ragte ein gewaltiger Eisenturm auf. Nach oben verschwand er in der gewölbten Decke der Höhle, nach unten zu wurde er breiter und verzweigte sich, ähnlich wie Baumwurzeln, in unzählige gekrümmte Adern und Stränge, mit denen er sich in der Tiefe des Felsengrundes festkrallte.
Eine Weile standen die beiden Freunde starr vor Staunen und blickten umher.
»Das dort drüben«, sagte Lukas gedämpft, »ist der Fuß der anderen Klippe.«
Sie schauten sich um und wurden gewahr, dass sie aus der Wurzel eines ebenso gewaltigen Eisenturmes herausgetreten waren. Eine lange Eisenader erstreckte sich bis in die Mitte des Felsensaales. Vom anderen Turm kam ihr ein ebensolcher Wurzelausläufer entgegen.
Als Jim und Lukas in der Mitte angekommen waren, stellten sie fest, dass die beiden Enden einander nicht berührten. Sie hörten plötzlich auf, beinahe so, als seien sie abgeschnitten worden. Zwischen ihnen wies der weiße Felsenboden eine Kuhle auf, nicht ganz so groß wie eine Badewanne.
»Sieht ja fast so aus«, meinte Lukas nachdenklich, »als ob hier irgendwas dazwischen gehört, das jemand herausgenommen hat.«
Er hielt seine Kerze nahe an die Schnittflächen der Wurzelenden und entdeckte auf beiden Seiten wiederum einige Schriftzeichen. Auch sie waren kaum noch zu entziffern. Außerdem handelte es sich diesmal um eine sehr, sehr alte Art von Buchstaben, sogenannte Hieroglyphen. Lukas brauchte eine ganze Weile, ehe er da und dort einzelne Lettern erkennen konnte. Schließlich schüttelte er den Kopf, gab Jim seine Kerze zu halten, zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche und schrieb die wenigen noch lesbaren Buchstaben auf, um einen Überblick zu gewinnen. Jim sah ihm schweigend und ehrfürchtig dabei zu.
Mehr als einmal hatte Lukas seine Pfeife zu Ende geraucht und wieder neu gestopft, bis endlich folgendes Ergebnis in dem Notizbuch stand:
Als Lukas diese sonderbaren Laute vorgelesen hatte, machte Jim ein ziemlich enttäuschtes Gesicht.
»Ich glaub, das is' gar keine Schrift«, meinte er, »vielleicht sind es bloß ganz gewöhnliche Kratzer.«
Lukas schüttelte den Kopf »Nein, mein Junge, Kratzer sind das nicht. Ich möchte wetten, dass es sich da sogar um so eine Gebrauchsanweisung handelt.«
»Ja, aber was soll denn das heißen?«, fragte Jim ratlos.
»Zum Beispiel könnte dieses Wort am Ende der ersten Zeile vielleicht WEISHEIT bedeuten und das Wort davor hat vielleicht GEHEIMNISVOLLE geheißen. Dann steht da am Ende der zweiten Zeile etwas, was man zu GURUMUSCH ergänzen könnte, und die Buchstaben davor ergeben das Wort MEERKÖNIGS. Also haben wir es wahrscheinlich mit einer GEHEIMNISVOLLEN WEISHEIT DES ERSTEN MEERKÖNIGS GURUMUSCH zu tun.«
»Oh!«, flüsterte Jim und bekam vor Staunen kugelrunde Augen. »Da wär ich nie draufgekommen.«
»Jetzt geht's weiter«, fuhr Lukas fort. »Die dritte Zeile könnte man so ergänzen: WER SIE VERSTEHT IST KLUG. Und die vierte Zeile heißt dann ganz einfach: WER SIE ANWENDET IST MÄCHTIG.«
»Lukas!«, rief Jim überwältigt. »Du bist aber wirklich ...«
»Immer langsam«, wehrte Lukas ab, »jetzt wird die Sache nämlich verflixt schwierig. Ich habe keine Ahnung, was die Buchstaben auf der anderen Seite bedeuten könnten. Nur so viel ist mir klar, dass die erste Zeile wahrscheinlich mit den Worten TAG UND NACHT
Weitere Kostenlose Bücher