Jinx und der magische Urwald (German Edition)
gab.
»Hast du so was schon mal gesehen?«
»Ja«, sagte Jinx. »Ich meine, nein.«
»Hat Simon das mit dir gemacht, als er dir das Leben genommen hat?«
»Ich weiß nicht.«
»Warst du nicht dabei?«
»Nicht so richtig. Er hatte eine Flasche. Und er hat etwas von mir hineingetan.«
»Warum hast du das zugelassen? Ich hätte nie …«
»Ich hab es nicht zugelassen!«, sagte Jinx heftig. »Hör zu, hinter dieser Tür ist auch noch eine Macht.«
»Dann ist Simon also doch genauso böse wie der Knochenmeister.«
Jinx widersprach nicht. Er wusste nicht, ob Simon das Gleiche mit ihm gemacht hatte. Aber es sah schrecklich aus. Und er wollte wirklich und endlich nicht mehr darüber reden. Nie mehr.
»Hinter der Tür befindet sich genauso viel Macht wie in den Flaschen«, sagte er. Er zog am Türgriff.
»Glaubst du, da sind noch mehr Flaschen?«
»Es fühlt sich anders an.«
Der Unterschied war ganz deutlich – so wie der Unterschied zwischen Tag und Nacht oder lebendigen Bäumen und kaltem Stein.
»Wie kommen wir da rein?«
»Gar nicht. Wir müssen jetzt wieder hoch.« Bestimmt war es schon eine halbe Stunde her, seit der Knochenmeister sich schlafen gelegt hatte. »Stell die Flasche zurück.«
»Willst du sie nicht bei Tageslicht anschauen?«
»Nein.« Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und stellte sie wieder ins Regal. All die gespenstisch stillen Gestalten, die in ihren Flaschen hingen, ließen ihn schaudern.
»Weißt du, was ich glaube?«, sagte Elfwyn.
»Nein, weiß ich nicht. Können wir … Lass uns jetzt gehen.« Jinx fasste sie am Arm und schob sie zurück durch den Gang.
»Ich glaube … Hör auf, mich zu schubsen! Ich glaube, das sind die Leben von Toten.«
Jetzt waren sie bei der Leiter angekommen. »Mach schnell«, sagte Jinx.
Sie pustete die Kerze aus, steckte sie in die Tasche und kletterte hinauf ans Tageslicht. Jinx folgte ihr auf dem Fuß. Er rechnete damit, dass der Knochenmeister an der Öffnung im Boden stand und auf sie wartete. Aber niemand war im Raum.
Jinx nahm die Steinplatte und versuchte sie mit aller Kraft zurück an ihren Platz zu schieben. Sie war zu schwer. »Hilf mir mal.«
»Kannst du sie nicht einfach schweben lassen?«
»Nicht mehr, seit ich die Machtquelle gesehen hab.« All diese kleinen baumelnden Leben.
Im Saal wurden Schritte laut. Mit aller Kraft schoben sie die Steinplatte zurück, sie schabte über den Boden und fügte sich wieder an ihren Platz.
Die Türklinke bewegte sich. Beide sprangen auf. Als die Tür aufging, rannte Elfwyn zur Werkbank und schnappte sich den Mörser mit dem pulverisierten Fledermausflügel, während Jinx schnell zum Waschbecken lief und einen nassen Lappen nahm.
»Das nennst du sauber machen?«, sagte der Knochenmeister. »Du hast keinen Finger krumm gemacht, stimmt’s, Jinx?«
»Er hat mir geholfen«, sagte Elfwyn.
»Ist das auch wahr?«, fragte der Knochenmeister.
»Ja«, sagte Elfwyn aufrichtig.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Reven. »Waren die Flaschen so groß?«
Sie waren im höchsten Turm des Schlosses und schauten durch ein Rundbogenfenster hinaus in die Dunkelheit. Jinx konnte den Wald nicht sehen, und da er so weit weg war, spürte er ihn nicht. Reven und Elfwyn standen zu dicht beieinander, und Jinx hatte das Gefühl, dass sie ihn am liebsten nicht dabeigehabt hätten.
Manchmal war es gar nicht so schwer, die Gefühle anderer zu erraten, auch wenn man keine Wolken um ihren Kopf sah.
»Nein, ganz normal«, sagte Elfwyn. »Aber die Menschen darin waren winzig.«
»Puppen«, sagte Reven.
»Es waren keine Puppen«, sagte Jinx.
»Es waren richtige Menschen, nur dass sie eben tot waren«, sagte Elfwyn.
»Woher wollt ihr das wissen?«
»Echte Menschen sehen anders aus als Puppen«, sagte Jinx. »Der Knochenmeister hat irgendwas mit ihnen angestellt. Deshalb sind sie so geworden. Er hat sie verkleinert und in Flaschen gesteckt.«
»Hat er sie auch umgebracht?«
»Ja, auf jeden Fall. Deshalb waren sie ja so tot.«
»Aber ihr habt gesagt, es waren Hunderte.« Verwirrt schaute Reven von Elfwyn zu Jinx.
»Ungefähr zweihundert, schätze ich«, sagte Elfwyn.
Der Gedanke durchfuhr Jinx wie ein Messer. Der Knochenmeister hatte Hunderte von Menschen getötet. Und Jinx hatte sie gesehen, jedenfalls einige davon. In Flaschen.
»Und inwiefern verleiht ihm das Macht?«, fragte Reven.
Beide schauten Jinx an.
»Ich weiß nicht genau«, sagte Jinx. »Es ist … Na ja, wenn Todesmagie von einem Tod
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