Joanna Bourne
Galba vor. Was für Namen sich der britische Geheimdienst doch immer ausdachte. Hin und wieder kam ihr der Gedanke, dass die Männer dieser Organisation einen ganz speziellen Sinn für Humor hatten.
Der Geistliche lächelte sie gütig an. »Ich habe die Ehe deiner Mutter vollzogen. Wie ich höre, möchtest du die Eintragung sehen. Ich habe sie in der Sakristei ausgelegt. Folge mir bitte.«
Ganz vom anderen Ende der Kirche aus ging sie wie durch einen Nebel, bis ihr endlich klar wurde, dass er nicht hatte sagen wollen, der Ehemann ihrer Mutter gewesen zu sein, sondern der Geistliche, der die Trauung vollzogen hatte.
Maman war verheiratet gewesen? So sehr überraschte sie das nun auch wieder nicht, außer dass es in England geschehen war. Denn ihre Mutter hatte in ihrem Leben so viele interessante Dinge gemacht, da war das hier nicht ganz ausgeschlossen, selbst in England.
Die Sakristei erwies sich als ein kleiner Raum, den man durch eine schmale, zwischen Steinsäulen gesetzte Tür betrat, um dann, einmal dort angekommen, festzustellen, wie staubig und mit Schränken vollgestellt alles war. Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch, das so groß war, dass es den gesamten Tisch einnahm.
»Mr. Galba hat mir erzählt, dass deine Mutter erst vor Kurzem verschieden ist. Erlaube mir, dir mein Beileid auszusprechen. Ich kann mich noch gut an sie erinnern, obwohl sie den Gottesdienst nicht sehr oft besuchte. Eine wunderschöne junge Frau. Du siehst ihr übrigens sehr ähnlich. Hier ist der Eintrag.«
Er zeigte auf eine Zeile. Im durch die Bleiglasfenster fallenden, fahlen Licht konnte sie lesen, dass Lucille Alicia Griffith am 3. September 1781 Peter Daffyd Jones geehelicht hatte.
Da es nicht sehr viele Lucille Alicias auf der Welt gab, war es anscheinend tatsächlich so, dass ihre Mutter zum Traualtar geführt worden war.
»Die Taufe.« Der Geistliche hob eine riesige Seite an, blätterte um und fuhr mit dem Zeigefinger über die Einträge. »Hier. Da steht es.« Klein, ordentlich und in feinen, leicht verblassten Buchstaben stand dort: Anne Katherine Jones.
Sie war getauft worden. Wie seltsam. Galba nahm den Geistlichen beiseite und unterhielt sich mit ihm.
»Hältst du die Eintragungen für echt?«, fragte Grey sie.
»Was?« Darüber hatte sie gar nicht nachgedacht. Sie ließ ihre Finger über die Seite gleiten. Die pulvrige Glätte unter ihren Fingerspitzen sprach für unberührte Tinte. Keine Unebenheiten. Keine verräterisch raue Oberfläche. Die Farben waren gleichmäßig verblasst und passten zueinander. Auch der Einband befand sich im Originalzustand. Der Geruch war alt. »Es ist alles echt. Ich verstehe es nur nicht.«
»Keine Fälschung. Kein Austausch irgendwelcher Seiten. Du bist davon überzeugt, dass die Aufzeichnungen echt sind.«
Sie nickte. »Als Kind war ich in England. Daran erinnere ich mich, wenn auch nur sehr schwach. Aber ich wusste nicht, dass ich hier geboren wurde, in London. Warum nur soll ich in England zur Welt gekommen sein?«
»Wir alle werden irgendwo geboren. Lass uns von hier verschwinden.«
Draußen wartete Adrian mit dem Rücken zur Wand und beobachtete alles mit der Aufmerksamkeit eines unbefangenen, jagenden Falken. Mit knappen Worten raunte er Grey schnell etwas zu.
»Ein Handgemenge auf dem Kirchhof«, ließ Grey Galba beim Einsteigen in die Kutsche wissen.
Auf der Rückfahrt hielt Galba seine Waffe auf dem Schoß. Grey ließ seine neben sich auf dem Sitz liegen. Die Kutsche umfuhr den Booth Square und nahm einen anderen Heimweg. Sie spürte die Anwesenheit von Männern auf der Straße, welche der Kutsche auf allen Seiten folgten und ihr Schutz gaben. Sie hatte das Gefühl, sich in einem Meer von Ereignissen zu bewegen, angezogen von Gezeiten, die sie nicht verstand.
Sämtliche Spione hatten die Meeks Street verlassen. Sie wurde von wie versteinert blickenden Männern und Doyle, dessen Miene freundlich und völlig entspannt war, die Treppe hinaufgeleitet. Da sie so in Gedanken versunken war, bemerkte sie kaum, dass sie geradewegs in ihr Gefängnis zurückspazierte.
Während sie im Empfangsraum darauf warteten, dass Giles die Tür zum inneren Haustrakt aufsperrte, musste sie loswerden, was ihr seit dem Verlassen der Kirche auf dem Herzen lag. »Peter Daffyd Jones.« Grey und Galba drehten sich zu ihr um. »Hat ihm schon irgendjemand gesagt, dass meine Mutter nicht mehr lebt?«
Grey entgegnete: »Er ist tot, Annique. Peter Jones war dein Vater.«
Unmöglich, dass
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