Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
er Timmys Masse zwischen sich und dem Lauf der 32er hielt.
»Tut mir leid, Howard«, keuchte Timmy. »Er hat mich überrascht. Er ... aaaah!« Die letzte Silbe stieß er aus, als Kurtz seinen Finger deutlich jenseits der Toleranzschwelle nach hinten bog.
»Dr. Conway«, meldete sich Kurtz zu Wort. »Wir müssen reden.«
Der alte Mann spannte den Hahn des Revolvers. »Sind Sie von der Polizei?«
Kurtz hielt die Frage für zu dumm, um sie mit einer Antwort zu würdigen. Timmy versuchte, sich nach vorne zu beugen, um die Schmerzen in Hand und Arm zu verringern. Kurtz musste ihm deshalb ein Knie in den fetten Hintern rammen, um ihn wieder in eine aufrechte Position als menschliches Schutzschild zu bringen.
»Schickt er Sie?«, erkundigte sich der alte Mann. Seine Stimme zitterte fast so stark wie der Lauf der Waffe.
»Ja«, sagte Kurtz. »James B. Hansen.«
Als habe er eine magische Zauberformel gesprochen, zog Dr. Howard K. Conway den Abzug der 32er ein-, zwei-, drei-, viermal durch. Die Schüsse klangen in dem mit Parkett ausgelegten Raum laut und flach. Plötzlich roch die Luft nach Kordit. Der Zahnarzt starrte die Waffe an, als hätte sie ganz von alleine gefeuert.
»Aaaah, Scheiße!«, sagte Timmy mit enttäuschter Stimme, als er nach vorne kippte und seine Stirn mit einem dumpfen Knall auf dem Holzboden donnerte.
Kurtz bewegte sich blitzschnell, rollte sich ab und rappelte sich sofort wieder auf, um Conway die Waffe aus der Hand zu schlagen, bevor der gelähmte Zahnarzt die Kammern fünf und sechs abfeuern konnte. Er packte den alten Mann an seinem Flanellhemd und hob ihn aus dem Rollstuhl, dann schüttelte er ihn zweimal, um sicherzugehen, dass er unter der Decke, die wie auf Kommando von seinem Schoß rutschte, keine weiteren Waffen versteckt hielt.
An der gegenüberliegenden Wand befand sich der Ausgang zu einem kleinen Balkon. Kurtz schubste den Rollstuhl zur Seite, trug die zappelnde Vogelscheuche quer durch das Zimmer, trat die Doppeltür auf und hielt den alten Mann draußen über das vereiste Geländer. Dr. Conways Brille segelte in die Nacht davon.
»Nein ... nein ... nein ... nein.« Das Mantra des Zahnarztes hatte sein Zittern eingebüßt.
»Erzählen Sie mir von Hansen.«
»Was ... ich kenne keinen ... großer Gott, nicht . Bitte nicht! «
Während er den Arzt noch mit einer Hand umklammerte, stieß Kurtz ihn mit einem Ruck über das Geländer. Lediglich der Griff am dünnen Flanell hielt Conway vom sofortigen Sturz in die Tiefe ab. Mit einem unüberhörbaren Geräusch riss das Material.
Die Zahnprothesen des Doktors hatten sich gelockert und klapperten jetzt in seinem Mund. Wenn dieses altersschwache Stück Scheiße nicht ein stiller Komplize beim Mord an einem Dutzend oder mehr Kindern und jungen Mädchen gewesen wäre, hätte Joe Kurtz vielleicht sogar ein bisschen Mitleid mit ihm empfinden können. Vielleicht.
»Meine Hände werden kalt«, flüsterte Kurtz. »Beim nächsten Mal kann ich Sie möglicherweise nicht mehr halten.« Er schob den Zahnarzt wieder über das Geländer.
»Alles ... was Sie wollen! Ich habe Geld. Viel Geld!«
»James B. Hansen.«
Conway nickte wild.
»Weitere Namen«, zischte Kurtz. »Unterlagen. Akten.«
»Im Arbeitszimmer. Im Safe.«
»Die Kombination.«
»Links 32, rechts 19, links 11, rechts 46. Bitte lassen Sie mich gehen. Nein! Nicht loslassen!«
Kurtz rammte den knochigen und vermutlich gefühllosen Hintern des Alten auf das Geländer. »Warum haben Sie sich nie jemandem anvertraut, Conway? All diese Jahre. All die toten Mädchen. Warum haben Sie nichts gesagt?«
»Er hätte mich umgebracht.« Der Atem des alten Mannes roch nach Äther.
»Ja«, raunte Kurtz und musste seinen Drang bändigen, den Arzt augenblicklich auf die Betonterrasse fünf Meter weiter unten zu stoßen. Erst brauchte er die Unterlagen.
»Was werden Sie jetzt tun?« Dr. Conway schluchzte und bekam einen Schluckauf. »Was stellen Sie mit mir an?«
»Sie können ...«, setzte Kurz an, als er sah, wie sich die wässrigen Augen des alten Mannes in wilder Hoffnung auf etwas hinter ihm fokussierten.
Er packte den Zahnarzt am Schlafittchen und schwang ihn herum, gerade als Timmy, der auf dem Parkettboden eine blutige Spur hinter sich hergezogen hatte, die letzten beiden Schüsse aus dem heruntergefallenen Revolver abfeuerte.
Conways Körper war zu dünn und mager, um den Treffer einer Kaliber-32-Patrone zu überleben. Der erste Schuss ging daneben, der zweite traf Conway mit
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