Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Mann trat heraus, machte in Richtung der Jugendlichen eine Armbewegungund spuckte vor sich auf den Boden aus. Holtrops Kopf drehte sich minimal nach hinten, um dem Bild folgen zu können, ohne aber wirklich teilzuhaben an der Poesie der Objektivität der Vorgänge in diesem Augenblick. Dann schwenkte der Wagen links auf den Stadtring nach Westen ein. Die Autobahn hier war dunkel und kaum befahren, Zuber schaltete das Fernlicht an und beschleunigte. Holtrop wunderte sich darüber, beugte sich vor, um die Tachometeranzeige ablesen zu können, 240 km/h, das war die Legitimität der Neuzeit. In den Häusern abseits der großen Verkehrsadern waren die Menschen sicher, in der Luft und auf den Straßen rasten auch nachts Irre in großem Tempo von einem Ort zum anderen, um dorthin zu kommen, wo sie gerade sein wollten, um dort irgendetwas zu erledigen, Leben ohne Aufschub: »gut«, dachte Holtrop, »sehr gut«. Der alte Assperg war zu alt, um davon noch etwas wissen zu wollen, das war die Tragödie des Gesamtkonzerns Assperg AG , die der CEO Holtrop gar nicht ändern konnte. Kurz vor Taubach ging Zuber vom Gas, die Fahrt verlangsamte sich, der Ausfahrtskreisel Taubach, der die südwestlichen Vororte Schönhausens bediente, war von gigantischen Neonlaternen so hell wie ein Stück belgische Autobahn erleuchtet, Holtrop sah, vom wandernden Lichtkegel erhellt, den angespeckten Kragenrand von Zubers Jackett, die Fettrolle des Nackenwulstes, die dünnen Haarreste am unteren Hinterkopf darüber, dann beugte sich Zuber etwas vor beim Bremsen, der Wagen neigte sich wieder in die Kurve, es ging hinunter, es ging hoch und auf die Ampel, die noch Rot zeigte, am Ende der Ausfahrt zu. Das rote Licht der Ampel wurde immer größer, heller, je näher der Wagen Holtrops kam, und sprang dann rechtzeitig, von einem in den Teer der Straße eingebauten Kontaktsensor informiert, um auf Grün, wie immer. Dann wieder in Zeitlupentempo durch Prieche hindurch, endlich derAbschied von Zuber, »schlafen Sie gut«. Im Haus machte sich Holtrop ein Feierabendbier auf, stand an den Kühlschrank gelehnt da und nahm einen Schluck. An guten Momenten hatte es in seinem Leben, dachte Holtrop, jedenfalls nicht gefehlt. Und weil der Folgegedanke dieses Resümee als Sterbebettgedanken bezeichnete, lachte Holtrop grimmig auf.
XXXI
Es war wirklich absurd, aber am Dienstag, den 23 . Juli, mitten in den großen Sommerferien, bekam Holtrop zuletzt doch noch den Anruf des alten Assperg. »Wir sind auf Mallorca. Kommen Sie zu uns!« Es war eine sentimentale Reise für Holtrop, an deren Ende er sich ja doch nur die imaginären Entlassungspapiere abholen durfte. Aber kaum saß er im Hubschrauber, war die alte Söldnerlust da, der happy young man, der er im Kern war, wieder aufgewacht. Schmeiß mir deinen Fallschirm her und wirf mich raus, wo sie mich brauchen. Wer diese Lust nicht kannte, würde keinen erfolgreichen Manager aus sich machen können, egal welche Talente er sonst noch hatte. Die Redadairbrandeinsätze fürs Geschäft hatte Holtrop immer geliebt, die Panik, den Buzz, den Blindflug durch schwere Wetter und über die Wolken. An der Küste Spaniens entlang südwestwärts, das war doch keine schlechte Bewegung. »Erlauben Sie, dass ich meiner Freude Ausdruck gebe«, sagte Holtrop vorne im Cockpit des nur von ihm als Passagier benützten Firmenjets zu den Piloten, »und Sie auf ein Glas Champagner einlade!« »Ist leider verboten, Chef.« Die Besatzung liebte Holtrop, normalerweise durften sie im Sommer nur die von Kate Assperg überall in Europa zusammenbestellten Kurzpflanzen und Kriechbäume in der Gegend herumfliegen, dann und wann auch die speziell im Sommer besonders verbissen eingedörrte Kate Assperg selbst. Auch heute waren im hinteren Teil der Maschine diverse Gartengerätschaften und Pflanzen mit an Bord, »die Sachen kann Holtrop mitbringen«, hatte Kate Assperg ihrem Mann befohlen, der hatte die Anweisung an Holtrop weitergegeben. »Kann ich gerne machen«, hatte Holtrop geantwortet, ohne zu wissen, warum die Asspergs sich die Gartenutensilien nicht auf der Insel kauften, sondern von Firmenknechten im Firmenflugzeug anliefern ließen. »Aber gut«, dachte Holtrop, »bin ich Ahlers?« Und weil er Ahlers offensichtlich nicht war, war es ihm auch egal, wofür das Firmenkerosin, privatzwecklich entfremdet, sinnlos in die Luft geblasen wurde.
Schimmernder Dunst lag über der Insel beim Anflug. Klapprig, aber überall frisch abgespachtelt im Gesicht stand
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