John Corey 03 - Nachtflug
auslösen und nicht zugeben, dass ein schweres Versagen seitens der Nachrichtendienste vorlag, was wiederum die CIA ins Spiel brachte und ...« Ich warf einen Blick zu Kate. »Hallo?«
Sie schnarchte.
Und so war ich allein mit meinen Gedanken, die allmählich auf Hochtouren liefen.
Ich drückte die Pausentaste in meinem Hirn, dann auf Zurückspulen und nahm mir noch einmal die Gedenkfeier vor und meinen Kollegen Liam Griffith. Ich würde es nicht für ausgeschlossen halten, dass Kate die Begegnung mit Griffith arrangiert hatte, bei der er mir so dumm gekommen war, dass mich der Fall auf einmal interessierte. Andererseits war es vielleicht auch einfach das, was es war: ein FBI-Typ, der mir steckte, dass ich nicht neugierig werden sollte, und es auch genauso meinte.
Ich warf einen Blick zu Kate, die im Schlaf sehr engelhaft wirkte. Meine Süße würde doch ihren geliebten Gatten nicht austricksen. Oder?
Szene zwei. Cupsogue Beach County Park, Dämmerung. Ein Pärchen am Strand.
Hatten sie den Lichtschweif und die Explosion tatsächlich gesehen und auf Video aufgenommen? Ich fragte mich auch, warum man sie nicht ausfindig gemacht hatte.
Aber vielleicht hatte man das.
Szene drei. Stützpunkt der Küstenwache, Moriches Bay. Captain Tom Spruck, ein zuverlässiger und selbstsicherer Zeuge.
Genau das wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Dieser Typ war einer von rund zweihundert Männern, Frauen und Kindern, die alle, einzeln oder gruppenweise, von unterschiedlichen Standorten aus, das gleiche gesehen hatten. Da ist oben. Richtig?
Und schließlich Szene vier. Calverton, Flugzeughangar. Mr. Sidney Siben, Sicherheitsingenieur bei der nationalen Verkehrssicherheitskommission. Der ehrliche und unerschütterliche Zeuge. Oder? Mr. Sidney Siben hatte bei seinem Abgang gewisse Zweifel geäußert. Optische Täuschung. Das ist es. Nein, das ist es nicht. Verdammt noch mal.
Worum ging es überhaupt?
Das unerwünschte Bild einer rekonstruierten Boeing 747 nahm vor meinem inneren Auge Gestalt an. Ich ging in Gedanken durch den geborstenen Rumpf, lief wieder die Gänge entlang, über den zusammengeflickten Teppichboden und zwischen den leeren Sitzreihen hindurch. Wie die Gerichtsmediziner immer sagen: »Die Toten sprechen zu uns.«
Das tun sie in der Tat, und zwar auf eine Art und Weise, dass sie bei einer Anhörung oder vor Gericht sogar Zeugnis ablegen können.
Die 747 hatte den Großteil ihrer Geheimnisse preisgegeben. Desgleichen die geborgenen Leichen. Die Zeugen hatten ihre Aussagen gemacht. Die Sachverständigen hatten gesprochen. Der Haken dabei war, dass nicht alle das gleiche sagten.
Soweit ich mich entsinnen konnte, hatte manch ein Beteiligter durch diesen Fall seine Karriere und seinen Ruf ruiniert, beschädigt oder gefährdet, und ich wollte nicht, dass Kate und ich ebenfalls dazu gehörten.
Ich schaute zu Kate. Wir waren seit einem Jahr verheiratet, und dieser Fall war bislang noch nicht zur Sprache gekommen, aber jetzt fiel mir ein, dass sie letzten Juli ohne mich zu der Gedenkfeier gegangen war. Ich fragte mich, warum sie bis zum Jahrestag gewartet hatte, ehe sie mich einweihte. Vielleicht war ich bis dato auf Bewährung gewesen, oder irgendetwas Neues war aufgetaucht. Jedenfalls hatte ich einen kurzen Eindruck von einer Interessengruppe erhalten, die nicht lockerlassen wollte, was diesen Fall anging.
Dieser Fall war seit jeher für jeden gefährlich gewesen, der mit ihm in Berührung kam. Hier ging es um einen Plasma-Todesstrahl, eine explosive Gasblase, eine Phantomrakete, freundliches Feuer, elektromagnetische Schwingungen, eine hochbrisante Mischung aus Treibstoff und Luft und eine optische Täuschung.
Meine sämtlichen Instinkte sagten mir, dass ich in meinem eigenen wie auch in Kates Interesse alles vergessen musste, was ich heute Abend gehört und gesehen hatte. Aber hier ging es nicht um Kate, um mich oder um irgendjemand anderen, ob in Diensten der Regierung oder nicht.
Es ging um sie. Um zweihundertunddreißig Menschen. Und um ihre Angehörigen und Verwandten, die Leute, die Rosen auf die Sitze des Flugzeugs gelegt hatten, die Kerzen angezündet hatten, in den Ozean gewatet waren und Blumen ins Meer geworfen hatten. Und um die Menschen, die nicht bei der Feierstunde gewesen waren, die daheim saßen und weinten.
12
Daheim. Ich wohne in einem Hochhaus an der East 72nd Street, zwischen der Second und der Third Avenue. Mein nur mit einem doppelten Einkommen erschwingliches Apartment liegt im 34.
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