John Grisham
Einer der Anzugträger hatte auch ein paar Hiebe von einem Schlagstock abbekommen und war ebenfalls ohne Bewusstsein. Er wurde in den zweiten Krankenwagen gebettet. Calvin bekam Handschellen angelegt und wurde auf den Rücksitz eines Polizeiwagens gestoßen, wo er auf einen aufgebrachten Mann in grauem Anzug und weißem Hemd traf, beides blutverschmiert.
Calvins rechtes Auge war zugeschwollen. Durch das linke erspähte er Aggies Pick-up, der einsam auf dem Parkplatz stand.
Fünf Stunden später durfte Calvin endlich von einem öffentlichen Telefon aus seine Mutter in Box Hill anrufen. Ohne sich lange mit Details aufzuhalten, erklärte er, dass er im Gefängnis sei, wegen gefährlicher Körperverletzung an einem Polizeibeamten angeklagt werde, was, einem seiner Zellengenossen zufolge, bis zu zehn Jahren Haft bedeuten könne, und dass Aggie mit eingeschlagenem Schädel im Mercy-Krankenhaus liege. Von Bailey war nicht die Rede.
Der Anruf schlug Wellen in der kleinen Gemeinde, und binnen einer Stunde war ein Wagen voller Freunde unterwegs nach Memphis, um den Schaden zu begutachten. Sie erfuhren, dass Aggie eine Operation überstanden hatte, bei der ein Blutgerinnsel aus seinem Hirn entfernt worden war, und dass er ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung an einem Polizeibeamten angeklagt war. Ein Arzt sagte der Familie, dass er mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben müsse. Die Familie war nicht krankenversichert. Sein Auto war von der Polizei beschlagnahmt worden, und um es wiederzubekommen, waren scheinbar kaum zu bewältigende bürokratische Hindernisse zu überwinden.
Calvins Angehörige erfuhren, dass seine Kaution auf fünfzigtausend Dollar festgelegt worden sei, eine Summe, die sie niemals aufbringen konnten. Er werde von einem Pflichtverteidiger vertreten, bis sie genügend Geld zusammenhätten, um in Memphis einen Rechtsanwalt zu engagieren. Am späten Freitagnachmittag durfte schließlich ein Onkel zu Calvin ins Gefängnis, wo sie sich im Besucherraum trafen. Calvin trug einen orangefarbenen Overall und orangefarbene Gummilatschen und sah grauenvoll aus. Sein Gesicht war blau verfärbt und geschwollen, sein rechtes Auge immer noch geschlossen. Er hatte Angst und war deprimiert und lieferte kaum Detailinformationen.
Von Roger gab es immer noch keinen Hinweis.
Nach zwei Tagen im Krankenhaus ging es Bailey besser. Sein rechtes Bein war lediglich gebrochen und nicht zertrümmert, ansonsten hatte er nur harmlose Schnittwunden und Blutergüsse davongetragen, und sein Brustkasten schmerzte. Sein Arbeitgeber organisierte einen Krankenwagen, und am Samstagmittag um zwölf verließ Bailey das methodistische Krankenhaus in Memphis, um auf direktem Weg ins Haus seiner Mutter in Box Hill überfuhrt zu werden, wo er wie ein Kriegsheimkehrer empfangen wurde. Erst nach Stunden bekam er berichtet, welche Mühen seine Freunde auf sich genommen hatten, um für ihn Blut zu spenden.
Acht Tage später kam Aggie zur Erholung nach Hause. Sein Arzt rechnete mit einer vollständigen Genesung, die aber Zeit brauchen werde. Seinem Anwalt war es gelungen, die Anklage auf einfache Körperverletzung zu reduzieren. Angesichts der Verletzungen, die ihm die Polizisten beigebracht hatten, erschien es nur fair, Aggie milde zu behandeln. Seine Freundin kam kurz vorbei, allerdings nur um Schluss zu machen. Die Legende von der Fahrt nach Memphis und der Schlägerei im Stripclub würde für immer an ihm hängenbleiben, und sie wollte damit nicht in Verbindung gebracht werden. Außerdem hielten sich hartnäckige Gerüchte, dass Aggie vielleicht doch einen leichten Gehirnschaden davongetragen haben könnte, und sie hatte schon den nächsten Kerl im Visier.
Drei Monate später kehrte Calvin nach Ford County zurück. Sein Anwalt hatte einen Deal ausgehandelt, der die gefährliche Körperverletzung in ein leichtes Vergehen umwandelte. Dafür musste Calvin drei Monate im Strafcamp von Shelby County ableisten. Er war davon nicht gerade begeistert, aber die Aussicht, der Polizei von Memphis vor Gericht zu begegnen, war auch alles andere als verlockend. Und wäre er der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden worden, hätte er Jahre im Gefängnis verbracht.
Zur allgemeinen Verwunderung wurde in den Tagen nach diesem Aufruhr keineswegs die blutige Leiche von Roger Tucker in einer dunklen Gasse von Memphis aufgefunden. Ganz im Gegenteil. Er wurde überhaupt nicht gefunden. Nicht dass irgendjemand aktiv nach ihm gesucht
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