Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
John Grisham

John Grisham

Titel: John Grisham
Autoren: Das Gesettz
Vom Netzwerk:
ihn nie singen hören«, sagte Leon.
    »Ich auch nicht«, ergänzte Butch.
    Sie waren auf der Umgehungsstraße von Oxford, zwei Stunden von Parchman entfernt. Der Transporter schien bei einer Geschwindigkeit von fünfundneunzig Stundenkilometern am besten zu laufen, darüber fingen die Fronträder ein wenig an zu schlackern. Es gab keinen Grund zur Eile. West li ch von Oxford wurden die Hügel flacher, das Mississippi-Delta war nicht mehr weit. Inez erkannte rechter Hand eine kleine weiße Kirche mit Friedhof, und sie fand, dass sie sich nicht verändert hatte in all den Jahren, die sie diese Fahrten zum Staatsgefängnis nun schon unternahm. Sie fragte sich, ob es in Ford County Frauen gab, die diese Strecke ebenso oft gefahren waren wie sie, aber sie kannte die Antwort. Leon hatte vor vielen Jahren die Tradition begründet, mit einer Haftzeit von dreißig Monaten. Damals hatte sie ihn jeden ersten Sonntag im Monat besuchen dürfen. Manchmal hatte Butch sie gefahren, manchmal hatte sie dem Sohn eines Nachbarn etwas dafür gegeben, aber sie hatte nie einen Besuchstag ausfallen lassen, und sie hatte stets Erdnussbuttertoffees und Extrazahnpasta dabei. Sechs Monate nachdem Leon auf Bewährung entl assen worden war, fuhr er sie, damit sie Butch besuchen konnte. Dann saßen Butch und Raymond ein, allerdings in verschiedenen Trakten mit verschiedenen Vorschriften.
    Dann brachte Raymond den Deputy um und kam in den Todestrakt, der seine eigenen Gesetze hatte.
    Mit ein wenig Übung lassen sich die meisten unangenehmen Dinge ertragen, und Inez Graney hatte gelernt, sich auf die Besuche zu freuen. Der Rest des Landes hatte ihre Söhne abgeschrieben, aber sie würde sie niemals im Stich lassen. Sie war da gewesen, als sie geboren wurden, und sie war da gewesen, als sie vom Vater verprügelt wurden. Sie hatte mitgelitten, wenn sie vor Gericht und diversen Bewährungsausschüssen erscheinen mussten, und sie hatte jedem, der ihr zuhörte, versichert, dass sie gute Jungs seien. Sie seien misshandelt worden von dem Mann, den sie, Inez, zum Ehemann gewählt habe. Also sei alles ihre Schuld. Wenn sie einen anständigen Kerl geheiratet hätte, würden ihre Kinder vielleicht ein ganz normales Leben führen.
    »Meint ihr, dass diese Person da sein wird?«, fragte Leon.
    »O Gott«, stöhnte Inez.
    »Warum sollte sie sich das entgehen lassen?«, fragte Butch. »Ich bin sicher, dass sie auftauchen wird. «
    » O Gott.«
    »Diese Person« war ein schräger Vogel namens Tallulah, eine Frau, die vor ein paar Jahren in das Leben der Graneys getreten war, um eine ohnehin schlimme Situation noch viel schlimmer zu machen. Über eine Gruppe von Gegnern der Todesstrafe hatte sie Kontakt zu Raymond aufgenommen, der ihr in seiner typischen Art mit einem langen Brief geantwortet hatte, in dem er beteuerte, dass er unschuldig sei und misshandelt werde, und wie üblich von seiner angehenden literarischen und musikalischen Karriere faselte. Er schickte ihr Gedichte, Liebessonette, und sie verfiel ihm. Im Besucherraum des Todestraktes sahen sie sich zum ersten Mal und verliebten sich durch die dicke Glasscheibe hindurch. Raymond sang ein paar Bluesklassiker, Tallulah war hingerissen. Es wurde von Hochzeit geredet, aber diese Pläne mussten warten, bis Tallulahs damaliger Gatte vom Staate Georgia hingerichtet worden war. Nach einer kurzen Trauerphase fuhr sie nach Parchman, für eine bizarre Zeremonie, die von keinerlei staatlicher oder religiöser Autorität anerkannt wurde. Jedenfalls war Raymond verliebt, und das inspirierte seine ohnehin weitschweifige Korrespondenz zu neuen Höhenflügen. Die Familie war also vorgewarnt und wusste, dass Tallulah begierig darauf war, nach Ford County zu kommen, um ihre neue Verwandtschaft kennenzulernen. Als sie dann tatsächlich vor der Tür stand, weigerten sich die Graneys jedoch, sie als neues Familienmitglied anzuerkennen. Und so stattete sie der Redaktion der Ford County Times einen Besuch ab, wo sie ihre wirren Gedanken und ihre Einblicke in die erbärmliche Situation des armen Raymond Graney zum Besten gab und versicherte, dass er durch neue Beweise vom Vorwurf des Mordes an dem Deputy entlastet werden würde. Außerdem verkündete sie, dass sie von Raymond schwanger sei, das Ergebnis mehrerer unbewachter Familienbesuche, die Insassen des Todestraktes inzwischen gestattet seien.
    Tallulah schaffte es auf die Titelseite, samt Foto, aber der Reporter war klug genug, ihre Angaben in Parchman zu überprüfen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher