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John Grisham

John Grisham

Titel: John Grisham
Autoren: Das Gesettz
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Familienbesuche waren den Häftlingen nicht erlaubt, schon gar nicht den Todeskandidaten. Außerdem gab es keine offizielle Heiratsurkunde. Unbeeindruckt fuhr Tallulah fort, für Raymond die Fahne hochzuhalten, und schickte sogar mehrere seiner umfangreichen Manuskripte nach New York, wo sie abermals von beschränkten Verlegern abgelehnt wurden. Mit der Zeit hörte man immer weniger von ihr, aber Inez, Leon und Butch lebten dennoch ständig mit der Horrorvorstellung, dass bald irgendwo ein neuer Graney geboren würde. Zwar gab es die Haftregeln, die unbewachte Besuche von Ehegatten untersagten, aber sie kannten Raymond. Er fand immer einen Weg.
    Nach zwei Jahren informierte Raymond die Familie darüber, dass Tallulah und er die Scheidung wollten und dass er für eine korrekte Abwicklung fünfhundert Dollar benötige. Das führte zu Zank und Beleidigungen, und das Geld wurde erst aufgetrieben, als er zum wiederholten Male mit Selbstmord drohte. Nicht lange nachdem die Schecks eingegangen waren, übermittelte Raymond in einem Brief die großartige Nachricht, dass er sich mit Tallulah versöhnt habe. Er bot nicht an, Inez, Butch und Leon das Geld zurückzuzahlen, obwohl ihn alle drei dazu aufforderten. Raymond lehnte mit der Begründung ab, sein neues Anwaltsteam brauche das Geld, um Gutachter und private Ermittler zu engagieren.
    Was Leon und Butch ärgerte, war das Anspruchsdenken ihres Bruders, der so tat, als schuldeten sie ihm das Geld. In der ersten Zeit seiner Haft hatten ihn die Brüder daran erinnert, dass er ihnen keinen Penny geschickt habe, als sie hinter Gittern saßen und er nicht. Das hatte zu einem so heftigen Streit geführt, dass ihre Mutter sich einschalten und vermitteln musste.
    Reglos und gekrümmt saß Inez in ihrem Rollstuhl, einen großen Leinenbeutel auf dem Schoß. Als die Gedanken an Tallulah allmählich versickerten, öffnete sie die Tasche und fischte nach einem Brief von Raymond, dem letzten, den er geschrieben hatte. Sie öffnete den Umschlag, der weiß und überall mit Raymonds schwungvoller Schnörkelschrift bedeckt war, und zog zwei gelbe Notizzettel heraus.
    Liebste Mutter,
    es wird zunehmend offensichtlich und augenscheinlich, dass die schwerfälligen und umständlichen, ja geradezu lethargischen Ränkeschmieder unserer ungerechten und ehrlosen Justiz auf unvermeidliche und unwiderrufliche Weise ihre abscheulichen und verabscheuungswürdigen Augen auf mich gerichtet haben.
    Inez atmete durch und las dann den ersten Satz noch einmal. Die meisten Wörter sahen vertraut aus. Nachdem sie jahrelang Briefe mit Hilfe eines Wörterbuches gelesen hatte, hatte sich ihr Wortschatz erstaunlich erweitert.
    Butch blickte sich um, sah den Brief und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
    Gleichwohl wird es dem Staate Mississippi abermals nicht gelingen, Raymond T. Graney Blut abzunehmen, vielmehr wird er mit diesem Ansinnen komplett versagen und eine tiefe, allumfassende Demütigung erleben. Denn ich habe mich der Dienste eines jungen Anwalts mit erstaunlichen Fähigkeiten versichert, eines außerordentlichen Advokaten, der von mir mit Bedacht aus den zahllosen Legionen von Juristen ausgewählt wurde, die sich mir buchstäblich vor die Füße werfen.
    Kurze Pause, dann ein zweiter Durchgang. Inez kam jetzt kaum noch mit.
    So nimmt es denn nicht wunder, dass ein Anwalt von solch exquisiter und außerordentlicher, ja geradezu einzigartiger Begabung und Gewandtheit nicht in meiner Angelegenheit tätig werden und effizient wirken kann, so er nicht einen angemessenen Tribut erhält.
    »Was heißt Tribut?«, fragte sie.
    »Buchstabier mal«, sagte Butch.
    Sie buchstabierte langsam, dann dachten alle drei über das Wort nach. Vokabelübungen dieser Art waren ihnen inzwischen ebenso vertraut wie Unterhaltungen über das Wetter.
    »Wie wird das verwendet?«, fragte Butch, und sie las den Satz vor.
    »Geld«, sagte Butch, und Leon stimmte sofort zu. Raymonds rätselhafte Ausdrücke hatten oft etwas mit Geld zu tun.
    »Lass mich raten. Er hat einen neuen Anwalt und braucht Extrageld, um ihn zu bezahlen.« Inez ignorierte ihn und las weiter.
    Mit großer Animosität, ja Beklommenheit bitte ich dich, ja flehe ich dich an, mir die durchaus angemessene Summe von fünfzehnhundert Dollar zukommen zu lassen, die umgehend Verwendung in meiner Verteidigung finden wird und mich unzweifelhaft von allen Ketten erlösen und in die Freiheit führen und mir im Übrigen den Arsch retten wird. Komm schon, Mama, jetzt ist
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