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John Grisham

John Grisham

Titel: John Grisham
Autoren: Das Gesettz
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sah Leon auf seine Uhr und dachte, dass es nur noch zwei Stunden waren, bis sie erlöst wären. Auch Butch gingen Gedanken durch den Kopf, allerdings bewegten sie sich in eine ganz andere Richtung.
    Die Idee, Raymond zu erwürgen, ehe ihn der Staat umbringen konnte, brachte ihn in eine echte Zwickmühle.
    Raymond stand plötzlich auf und sagte: »Gut, also, ich muss mich noch mit den Anwälten treffen. In einer halben Stunde bin ich zurück.« Er ging zur Tür, öffnete sie und streckte die Arme vor, um sich die Handschellen anlegen zu lassen. Als die Tür wieder zu war, sagte Inez: »Ich glaube, alles wird gut.«
    »Mama, denk dran, was der Direktor gesagt hat«, meinte Leon.
    »Raymond lügt sich in die eigene Tasche«, fügte Butch hinzu. Inez fing wieder an zu weinen.
    Der Anstaltsgeistl iche, Pater Leland, ein katholischer Priester, stellte sich mit leiser Stimme der Familie vor. Sie boten ihm einen Platz an.
    »Es tut mir alles so leid«, sagte er düster. »Das ist das Schlimmste an meinem Beruf.«
    Katholiken waren eine Seltenheit in Ford County, und die Graneys kannten keinen einzigen. Misstrauisch beäugten sie den weißen Kragen um seinen Hals.
    »Ich habe versucht, mit Raymond zu reden«, fuhr Pater Leland fort. »Aber er zeig t wenig Interesse am christl ichen Glauben. Er sagte, er sei seit seiner Kindheit nicht oft in der Kirche gewesen.«
    »Hätte ich ihn doch öfter mitgenommen«, jammerte Inez.
    »Er bezeichnet sich gar als Atheist. «
    » O Gott.«
    Natürlich wussten die Graneys seit geraumer Zeit, dass Raymond jeglichem Glauben abgeschworen hatte und die Meinung vertrat, dass es keinen Gott gebe. Auch das hatten sie seinen epischen Briefen in allen Einzelheiten entnehmen können.
    »Wir sind keine Kirchgänger«, räumte Leon ein.
    »Ich werde für Sie beten.«
    »Raymond hat das Auto von der Frau des Deputys auf dem Parkplatz vor der Kirche geklaut«, sagte Butch. »Hat er Ihnen das erzählt?«
    »Nein. Wir haben uns viel unterhalten in letzter Zeit, und er hat mir viele Geschichten erzählt. Aber diese nicht.«
    »Danke, Sir, dass Sie so freundlich zu Raymond sind«, sagte Inez.
    »Ich werde bis zum Ende bei ihm bleiben.«
    »Dann wird es also tatsächlich passieren?«, fragte sie.
    »Es müsste schon ein Wunder geschehen, um den Lauf der Dinge jetzt noch aufzuhalten.«
    »Herr im Himmel, hilf«, sagte sie.
    »Lasset uns beten.« Pater Leland schloss die Augen, faltete die Hände und begann: »Vater unser im Himmel, schau herab auf uns in dieser Stunde, sende den Heiligen Geist auf uns herab und schenke uns Frieden. Schenke den Anwälten und Richtern, die sich in diesem Moment redlich bemühen, Kraft und Weisheit. Und schenke Raymond Mut, jetzt, da er sich auf die schwerste Stunde vorbereitet.« Pater Leland hielt einen Moment lang inne, um kaum merklich sein linkes Auge zu öffnen. Alle drei Graneys starrten ihn an, als hätte er zwei Köpfe. Irritiert schloss er das Auge wieder und kam rasch zum Ende: »Heiliger Vater, gewähre den verantwortlichen Beamten und den Menschen von Mississippi Gnade und Vergebung, denn sie wissen nicht, was sie tun. Amen.«
    Er verabschiedete sich, und sie warteten ein paar Minuten, bis Raymond zurückkam. Er hatte seine Gitarre dabei, und sobald er sich auf dem Sofa eingerichtet hatte, schlug er ein paar Akkorde an. Er schloss die Augen und fing an zu summen. Dann sang er:
    I got time to see you baby
    I got time to come on by
    I got time to stay forever
    'Cause I got no time to die.
    »Das ist ein altes Stück von Mudcat Malone«, erklärte er. »Einer von meinen Lieblingssongs.«
    I got time to see you smilin'
    I got time to see you cry
    I got time to hold you baby
    'Cause I got no time to die.
    Das Lied war anders als alles, was sie bislang je gehört hatten. Butch hatte einmal Banjo in einer Bluegrass-Band gespielt, aber das Musikmachen schon vor vielen Jahren aufgegeben. Er hatte nicht das mindeste Talent zum Singen, ebenso wenig wie sein jüngerer Bruder. Raymond gab ein kehliges Brummen von sich in dem übertriebenen Versuch, wie ein schwarzer Bluessänger zu klingen, und zwar einer in tiefer Verzweiflung.
    I got time to be yo' daddy
    I got time to be yo' guy
    I got time to be yo' lover
    'Cause I got no time to die.
    Als der Text zu Ende war, spielte er ohne Gesang weiter und stellte sich dabei ganz passabel an. Butch freilich fand, dass sein Können auf der Gitarre nach elf Jahren Üben in seiner Zelle immer noch ziemlich armselig war.
    »Ist das
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