John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
wusste er doch, dass sie sich gerade die Lunge aus dem Leib gerannt hatte, nur um ihn zu schlagen und als Erste anzukommen – und das, nachdem bereits ein einstündiger Dauerlauf hinter ihr lag.
Sie hatte ihn jetzt registriert, nahm ihn jetzt ganz anders wahr als früher. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr er Dallas im Iran um sie beneidet hatte. Aber er hatte gesehen, wie sie ihn ansah, als er sich das T-Shirt auszog, hatte gesehen, wie sie sich bemühte, ihn nicht anzustarren. Trotzdem war es noch zu früh, sich an sie ranzumachen, also war er gezwungen, ständig höchst konzentriert zu bleiben, um nicht eine Erektion zu bekommen, sobald sie auch nur in seine Nähe kam. Sie hatte gerade erst gemerkt, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, und war noch nicht bereit zu mehr.
Es war ja nicht so, als wären sie sich gerade erst begegnet und hätten begonnen, miteinander auszugehen. Unter solchen Umständen hätte er ein viel schärferes Tempo angeschlagen, doch wie die Dinge lagen, waren ihm die Hände gebunden. Immerhin schleppten sie eine gemeinsame Last mit sich herum: Dallas’ Tod und die Art, wie er umkam, das verband sie beide, stand aber ebenso zwischen ihnen. Kein anderer Mann hatte sich über diese Mauer hinwegsetzen können, denn kein anderer Mann begriff wirklich, worum es ging; er war derjenige, der in dieser kleinen, eiskalten Hütte bei ihr gewesen war, der ihr weißes, regloses Gesicht beobachtete, als sie die letzten Worte ihres Mannes mit anhörte, der den stummen Schrei in ihren Augen sah. Er war derjenige, der sie in den Armen gehalten hatte, als sie schließlich weinen konnte.
Und er war derjenige, der diese Mauer des Desinteresses, die sie zwischen sich und dem männlichen Geschlecht errichtet hatte, niederreißen würde. Er konnte das, denn er verstand sie, weil er wusste, dass unter ihrem damenhaften Äußeren das Herz einer Abenteurerin schlug. Er konnte ihr die Aufregung geben, die sie wollte, sowohl beruflich als auch privat. Herrgott, wie sehr sie in den letzten Tagen zum Leben erwacht war! Sie glühte förmlich. Er brauchte all seine Willenskraft, um sie nicht einfach zu packen und ihr zu zeigen, was er für sie empfand.
Aber die Zeit dafür würde schon kommen. Noch behagte ihr der Gedanke, mit einem anderen als Dallas zusammen zu sein, nicht, und ganz besonders nicht mit ihm. Doch ihr Interesse an ihm würde sie sicher irgendwann kapieren, dafür würde er sorgen.
Unruhig erhob er sich und begann auf und ab zu gehen, wobei er automatisch das Fenster mied. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm je eine Frau so wichtig gewesen wäre, nicht mal Venetia …
Er blieb stehen und starrte wie blind auf das nichts sagende Bild an der Wand. Nach der Sache mit Venetia verdiente er Niema ja vielleicht gar nicht. Und vielleicht würde Niema ja gar nichts mit ihm zu tun haben wollen, wenn sie über Venetia Bescheid wüsste. Vielleicht? Zum Teufel noch mal; das war so gut wie sicher. Wenn er auch nur ein Quäntchen Ehrgefühl im Leib hätte, würde er ihr von seiner verstorbenen Frau erzählen.
Sein Mund verzog sich zu einem humorlosen Lächeln. Ein Ehrenmann hätte nicht das getan, was er schon alles in seinem Leben getan hatte. Er begehrte Niema, begehrte sie mit einer geradezu beängstigenden Intensität. Und er würde sie bekommen.
Villa de Ronsard
»Konnten Sie die Nachricht zurückverfolgen?«, fragte Ronsard Cara, die konzentriert auf den Monitor starrte, während sie geschwind Befehle eintippte.
Sie schüttelte abwesend den Kopf, ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Bildschirm gerichtet. »Nur bis zum ersten Relais; danach ist er mir entwischt. Temple hat ein verdammt gutes Verschlüsselungs- und Relaissystem.«
Ronsard schlenderte in seinem Büro umher. Es war noch sehr früh am Morgen, aber er brauchte nicht viel Schlaf, und Cara richtete sich ganz nach ihm. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, alles auf einem Computer hinterlässt eine Spur.«
»Stimmt, aber manchmal führt diese Spur eben in eine Sackgasse. Er hätte das erste Relais mit einem Selbstzerstörungscode programmieren können, sobald die Nachricht durch war. Eventuell war das erste Relais ja gar kein Relais; es hätte schon der Endpunkt sein können. Aber auch Sie scheinen Temple ja nicht für so leicht auffindbar zu halten.«
»Nein, bestimmt nicht«, murmelte Ronsard. »Wo war übrigens das erste Relais?«
»In Brüssel.«
»Dann hält er sich also wahrscheinlich in Europa auf?«
»Nicht unbedingt. Er könnte
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