John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
gestoppt.
Selbstverständlich hätte Tarik seinen Erfolg gern auf seine eigene mühevolle Arbeit zurückgeführt. Tatsächlich schienen die Krankheitserreger, die er aus Tansania erhalten hatte, einer außergewöhnlich widerstandsfähigen Art der Pest anzugehören. Die Erreger wuchsen rasch in der Hirn-Herz-Bouillon und blieben auch noch stundenlang am Leben, nachdem er sie der Belastung einer Übersiedlung in eine schwache Sojanährlösung ausgesetzt hatte, die leicht durch seinen Vernebler floss. Die Bakterien waren auch wesentlich temperaturresistenter, als Tarik angenommen hatte.
Ohne einen Säulenchromatographen und eine Polymerase-Kettenreaktionsprüfung konnte er nicht sicher sein, aber er vermutete, dass diese Y.-pestis -Art sowohl pPCP1- als auch pMT1-Plasmiden enthielt. Hierbei handelte es sich um DNS-Familien, die Enzyme produzierten, die das Immunsystem
und die Blutgerinnungsfähigkeit angriffen. Seit Tarik vor einer Woche gesehen hatte, wie schnell seine Mäuse und Ratten verendet waren, nahm er Doxycylin, ein Antibiotikum, das bekanntermaßen auch gegen die Pest half. Soweit er wusste, war er dem Virus nie ausgesetzt gewesen, aber man konnte nicht vorsichtig genug sein.
Als sein Blick erneut auf den blutigen Körper der Katze fiel, war er froh, dass er das Medikament bereits nahm. Vorsichtig nahm er den Kadaver aus dem Käfig und ließ ihn in einen großen, mit Salzsäure gefüllten Behälter gleiten, um ihn aufzulösen. Morgen würde er sich eine neue Katze aus dem Tierheim besorgen. Oder vielleicht besser aus einer Tierhandlung. Dort stellte man ihm weniger Fragen. Er war überrascht gewesen, als ihn die Frau im Tierheim gefragt hatte, ob er schon einen Namen für die Katze hätte.
»Ich bin noch nicht ganz sicher«, hatte er schließlich gestammelt.
Ja, es würde eine Tierhandlung werden, dachte Tarik. Wenn sein Erfolg anhielt, würde er aber schon bald etwas anderes benötigen als Katzen. Seine nächsten Versuchsobjekte müssten Affen sein, weil ihr Atmungssystem dem des Menschen ähnlicher war. Leider kam man nicht so leicht an Affen heran; Geschäfte für Biologiebedarf verkauften nur an lizenzierte Forschungsinstitute, und kaum jemand züchtete Affen als Haustiere. Im Internet hatte er Werbeeinschaltungen von Züchtern in den USA gesehen, aber wenn er schon nicht sicher sein konnte, selbst über die Grenze zu kommen, wie sollte ihm das dann mit einem Affen im Gepäck gelingen? Außerdem vermutete er, dass die Zollbeamten – oder vielleicht sogar die Polizei – seinem Haus einen Besuch abstatten würden, wenn er Affen online bestellte.
Auch ohne Affen war Tarik überzeugt, dass er mittlerweile
imstande war, mit dem Vernebler Menschen in einem geschlossenen Raum infizieren zu können, solange er keine Lüftung hatte. Das bedeutete noch nicht, dass er damit eine weite Verbreitung erzielen konnte. Um herauszufinden, wie er genug Pest-Erreger für einen großen Anschlag züchten und lagern könnte, würde er noch Monate benötigen. Danach waren vermutlich weitere Monate bis Jahre erforderlich, um die technischen Probleme im Hinblick auf die großräumige Verbreitung zu überwinden. Es war nun einmal viel leichter, in einem Labor mit einigen Millilitern Lösung einen Aerosolnebel zu produzieren, als Hunderte Liter einer Flüssigkeit mit Hilfe eines Sprühflugzeugs oder von der Ladefläche eines Trucks zu verteilen.
Seine Fortschritte waren aber nicht zu übersehen. In letzter Zeit hatte er täglich sechs, acht und mitunter sogar zehn Stunden im Keller verbracht, und hatte dazwischen nur kurz geschlafen, während seine erwartungsvolle Erregung wuchs. Selbstverständlich wusste er, dass er das Tempo drosseln sollte – vor allem nachdem er im Badezimmerspiegel erstaunt festgestellt hatte, wie erschöpft und zerzaust er aussah – aber die Pest erfüllte all seine Gedanken. Die Pest und Fatima.
Bei dem Gedanken an sie schwand seine freudige Erregung. Im letzten Monat hatte sich Fatima noch mehr von ihm entfernt. Nach der Arbeit kam sie spät nach Hause, lächelte kaum noch, wenn er versuchte, mit ihr zu sprechen, und wies all seine unsicheren Annäherungsversuche im Bett zurück. Als er vor einer Woche nach der Arbeit im Keller hinaufgekommen war, hatte sie erneut mit Flüsterstimme in der Küche telefoniert.
»Was kümmert es dich?«, hatte sie ihn gefragt. »Du bist doch sowieso immer im Keller.«
Da hatte er ihr erneut ein paar Schläge versetzt.
»Bitte, Tarik«, hatte sie ihn angefleht.
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