John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
kannten, hatte er sich kaum verändert. Er wirkte immer irgendwie verknittert, war voller Energie, zog sich schlecht an und ernährte sich noch schlechter, aber er war einfach genial. Manchmal zu genial. Seit Jahren fragte sie sich, ob Shafer seine Marotten bewusst übertrieb, weil sie zum Mythos des zerstreuten Genies passten. Heute zum Beispiel zog sich ein großer Kaffeefleck über seine rechte Manschette. Konnte das wirklich Zufall sein?
Shafer hatte nie in die steife Bürokratie der CIA gepasst. Bevor Exley und Wells New York gerettet hatten, wäre er fast hinausgemobbt worden. Jetzt hatte er mit Duto eine Vereinbarung. Duto ließ ihn, Wells und Exley ihr eigenes Ding machen, dafür tat Shafer sein Bestes, um Wells zu kontrollieren. Bisher hatte sich das für beide Seiten bewährt, obwohl sich Exley nicht vorstellen konnte, dass es auf Dauer funktionieren würde. Shafer misstraute Duto, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
»Du brauchst meinen Verstand«, sagte sie jetzt. »Weißt du nicht, dass ich ein Wrack bin?«
»Nur Schreibtischarbeit. Ich wette, nach sechs Wochen
zu Hause kannst du ein bisschen Abwechslung gebrauchen. Das lenkt dich ab. Also …« Und bevor sie protestieren konnte, hatte ihr Ellis von dem fehlenden Uran und dem Kontakt erzählt, den Kowalski zu Bernhard Kygeli hergestellt hatte.
»John und Kowalski sind jetzt Freunde?«, fragte Exley, als Shafer fertig war.
»Es ist eine merkwürdige Welt«, gab Shafer zu. »Aber dieser Bernhard ist eine Sackgasse. Weder der BND noch die Hamburger Polizei wissen was über ihn. Er zahlt seine Steuern und poliert regelmäßig seinen Mercedes. Wahrscheinlich kauft er den Pfadfinderinnen Kekse ab, falls es in Deutschland Pfadfinderinnen gibt …«
»Hab schon verstanden«, sagte Exley. »Haben sie mit dem Hafenmeister gesprochen?«
»Die Hafenbehörden wissen nicht viel über ihn. Er ist schon lange ansässig, aber es ist eine kleine Firma. Der Hafen ist riesig, und nachdem er nie Ärger gemacht hat …«
»Was ist mit den Zolldokumenten?«
»Nichts Ungewöhnliches. Schränke und Teppiche aus der Türkei. Vor zwei Monaten hat er außerdem Besteck aus Polen nach Südafrika verkauft. Die Polen haben das überprüft, und die Firma hat das Geschäft bestätigt.«
»Liefert er in die Vereinigten Staaten?«
»Nicht dass wir wüssten.«
Exley konnte kaum glauben, wie selbstverständlich sie ihre alte Routine wiederaufnahm. Aber nur weil sie ein paar Minuten lang laut dachte, war sie noch lange nicht verpflichtet, endgültig zurückzukommen. Außerdem hatte Shafer Recht. An einem Schreibtisch in Langley war noch keiner erschossen worden.
»Was ist mit dem General?«, fragte sie. »Dem Nigerianer, für den dieser Bernhard die Sturmgewehre gekauft hat? Könnte der in die Sache verwickelt sein?«
»Das bezweifle ich. Das scheinen echte Geschäfte gewesen zu sein. Bernhard hat sich vermutlich wegen des Berylliums an Kowalski gewandt, weil er ihn von damals kannte.«
»Und wir haben keine Ahnung, wo er das Geld her hat?«
»Er verdient mit seinen legalen Geschäften ganz gut. Wir könnten natürlich sein Haus auf den Kopf stellen.«
»Aber dann würde er wissen, dass wir aufmerksam geworden sind, und …«
»… würde die Bombenbauer warnen, genau. Wir dürfen ihn auf keinen Fall verschrecken. Genau deswegen haben wir auch noch nicht mit seinen Mitarbeitern gesprochen und uns von der Kanzlei in New York ferngehalten. Wir könnten uns natürlich auf die nationale Sicherheit berufen und sie zur Diskretion verpflichten, aber wenn sie ihn trotzdem informieren, stehen wir dumm da.«
»Welche Kanzlei in New York?«
»Habe ich die noch nicht erwähnt?« Shafer erzählte ihr von dem Besuch, den Wells Bernhards Haus abgestattet hatte und bei dem er die Rechnung von Snyder, Gonzalez & Lein gefunden hatte.
»Haben wir seine Schiffe überprüft?«
»Er hat keine Schiffe, zumindest keine, die wir finden können. Falls doch, tauchen sie weder in seinen Firmenunterlagen noch im deutschen Schiffsregister noch sonst irgendwo auf. Das haben wir überprüft. Und der Hafenmeister hat auch nichts davon erwähnt.«
»Also wirklich, Ellis. Der Mann hat eine nicht allzu kleine Import-Export-Firma und führt regelmäßig Lieferungen durch. Der hat mit Sicherheit ein oder zwei Schiffe. Die laufen eben nicht auf seinen Namen, das ist alles. Wahrscheinlich sind sie auf irgendeine Mantelfirma auf den Cayman Islands oder in Gibraltar eingetragen, mit einem Anwalt als
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