John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Strohmann.«
»Und du meinst, die Kanzlei in New York ist die Verbindung?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Exley. »Aber wir sollten uns ansehen, welche Prozesse die geführt haben. Vielleicht stoßen wir auf irgendwas.«
»Wie habe ich dich vermisst«, sagte Shafer.
Snyder, Gonzales & Lein waren nicht nur in New York, sondern auch in Baltimore und Miami vertreten. Die Kanzlei hatte sich darauf spezialisiert, Schiffs- und Flugzeugeigner gegen Versicherungsgesellschaften und Werften zu vertreten. An den meisten Verfahren war nichts Geheimnisvolles, und Exley sah keine Verbindung nach Hamburg, und schon gar nicht zu Bassim Kygeli. Am Ende des Nachmittags hatte sie solche Rückenschmerzen, dass sie nur noch auf dem Boden liegen konnte.
»So, Ellis«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob ich aufstehen kann, aber ich muss los.«
»Noch ein paar Minuten. Ist doch interessante Lektüre. Die können einem schon leid tun, die bedauernswerten Millionäre, die statt des bestellten Hubschrauberlandeplatzes für ihre Jacht einen zweiten Whirlpool bekommen haben oder umgekehrt.«
Eine weitere halbe Stunde verging im Schneckentempo. Dann erhob sich Shafer und klatschte in die Hände. »Sieh
dir das an. Vor zwei Jahren haben unsere zwielichtigen Freunde AIG verklagt. Im Namen einer Firma namens YRL Ltd.«
»AIG, die größte Versicherungsgesellschaft der Welt?«
»Genau die«, bestätigte Shafer. »YRL scheint mir eine Strohfirma zu sein. Sitz auf den Cayman Islands. Aber die Klage wurde in New York eingereicht, weil da die Zentrale von AIG ist. YRL will von AIG vier Millionen Dollar für einen in Liberia registrierten Frachter namens Greton. Vor etwa zwei Jahren ist die Greton vor der nigerianischen Küste in Flammen aufgegangen.«
»Gab es Tote?«
»Sieht nicht so aus. Auf jeden Fall will AIG nicht zahlen. Angeblich hatte die Greton weder eine anständige Feuerlöschanlage noch eine ausgebildete Mannschaft. Früher oder später musste es zu dem Unfall kommen.«
»Und wer hat gewonnen?«
»Die Anwälte. Zwei Jahre sind ins Land gegangen, ein Dutzend Anträge und Gegenanträge wurden gestellt, und bisher sind noch nicht einmal die Unterlagen gesichtet. Wenn sie fertig sind, hat sie der Prozess mehr gekostet als das Schiff je wert war. Aber …« Shafer kam hinter seinem Schreibtisch hervor, stellte sich neben Exley und deutete mit dem Finger auf das Dossier, das er gerade las. »Guck mal da.«
»Was?«
Shafer warf ihr das Dossier zu. »Seite acht.«
Seite acht enthielt eine Beschreibung der Greton. »Transportiert in erster Linie Fracht aus der Türkei nach Westafrika. Häufig von der Tukham GmbH, einer Import-Export-Firma mit Sitz in Hamburg gechartert.« Das war Bernhard Kygelis Unternehmen.
»Du bist wirklich ein schlaues Mädchen«, sagte Shafer. »Und das meine ich so sexistisch, wie es klingt.«
»Wir finden wohl besser heraus, wem YRL gehört.«
»Und welche Schiffe YRL sonst noch besitzt.«
Exley sah auf die Uhr: 18.30 Uhr. »Heute erreichen wir beim Handelsregister auf den Cayman Islands keinen mehr. Wir werden bis morgen früh warten müssen.«
»Wir? Soll das heißen, du kommst morgen?«
Exley machte sich nicht die Mühe zu antworten.
Die Gründungsurkunde, die YRL Ltd. beim Außenministerium der Cayman Islands eingereicht hatte, war nur zwei Seiten lang, aber sie verriet Exley und Shafer alles. Präsident von YRL war Bassim Kygeli aus Hamburg.
In der nächsten Stunde durchsuchten sie alle Schiffsregister weltweit nach Schiffen, die auf YRL eingetragen waren. Sie fanden ein zweites: die Juno , die unter liberianischer Flagge fuhr. YRL hatte sie vor zwei Jahren erworben, vermutlich als Ersatz für die unglückselige Greton . Das Schiff war 1987 in Korea gebaut worden und hatte eine Verdrängung von zweiundzwanzigtausend Tonnen, eine Nussschale gegenüber den großen neuen Containerschiffen. Aber mehr als ausreichend für den Transport von ein paar Kilo hoch angereichertem Uran. Im Internet konnte Exley keine Bilder der Juno finden, doch AIG musste welche haben. Ein kurzer Anruf aus Langley, und sie würden bekommen, was sie brauchten.
»Wenn die Greton außer Dienst gestellt wurde, muss es das hier sein«, meinte Shafer.
»Vorausgesetzt, Bernhard hat das Zeug auf seinem eigenen Schiff transportiert.«
»Wofür hat man ein Schiff, wenn nicht für so was?«,
fragte Shafer. »Auf jeden Fall sehen wir da am besten zuerst nach.«
Exley überprüfte die Unterlagen der Hamburger Hafenbehörde.
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