Johnson, Denis
gebt mir einen aus», sagte er mit seiner hohen Stimme. Dann legte er die Stirn in Falten und sagte mit seiner tiefen Stimme: «Bin ja bloß auf ‘nen Sprung hier», und dann wieder, schlagartig fröhlicher, mit seiner hohen Stimme: «Ich wollte euch alle sooo gern wiedersehen! Also gebt mir schon einen aus, weil, ich hab meinen Geldbeutel nicht dabei, meine Brieftasche, die haben mir ja alles weggenommen, die Diebe, die!» Er grapschte nach der Bardame wie ein Kind nach einem Spielzeug. Er hatte nichts an als ein Nachthemd, das er sich in die Hose gestopft hatte, und Krankenhauslatschen aus grünem Papier.
Auf einmal dämmerte mir, daß irgendwer, Hotel selber oder ein Bekannter von ihm, mir schon vor Wochen erzählt hatte, Hotel stecke wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in Schwierigkeiten. Er hatte ein paar Collage-Studenten, die ziemliche Mengen Kokain verschoben hatten, mit vorgehaltener Waffe Geld und Drogen abgenommen, woraufhin die ihn kurzerhand angezeigt hatten. Ich hatte davon gehört, es aber vergessen.
Und dann, als wäre mein Leben nicht schon verdreht genug, wurde mir jäh klar, daß das, was wir an jenem Nachmittag gefeiert hatten, gar nicht Hotels Abschied, sondern seine Rückkehr gewesen war. Er war freigesprochen worden. Seinem Anwalt war es gelungen, ihn mit dem sonderbaren Argument zu entlasten, er habe die Menschen lediglich vor den Machenschaften dieser Dealer schützen wollen. In völliger Verwirrung darüber, wer nun die wahren Verbrecher waren, hatten die Geschworenen sich am Ende entschlossen, ihre Hände in Unschuld zu waschen, und ihn laufenlassen. Darum war es in unserer Unterhaltung vom Nachmittag gegangen. Aber ich hatte einfach nichts kapiert.
Solche Momente gab es häufig im Vine – man dachte dann, heute sei gestern, oder gestern sei morgen und so weiter. Und das, weil wir uns alle für tragische Figuren hielten und weil wir tranken. Wir fühlten uns ohnmächtig, vom Schicksal verfolgt Wir würden in Handschellen sterben, würden ein übles Ende nehmen und nichts dafür können. So legten wir uns die Dinge zurecht. Dann aber wurden wir aus lachhaften Gründen immer wieder für unschuldig erklärt.
Hotel bekam den Rest seines Lebens zurück, die fünfundzwanzig Jahre und mehr. Die Polizei, fassungslos über sein Glück, gab ihm zu verstehen, man würde, falls er die Stadt nicht verließe, schon dafür sorgen, daß er’s bereute; aber eine Weile ließ er’s trotzdem drauf ankommen, stritt sich mit seiner Freundin und verschwand dann doch – arbeitete in Reno, Denver, Orten im Westen – und tauchte schließlich nach einem Jahr wieder auf, weil er nun mal nicht von dem Mädchen lassen konnte.
Da war er zwanzig, einundzwanzig Jahre alt.
Das Vine war abgerissen worden. Die Stadterneuerung hatte sämtliche Straßen verändert. Was mich betrifft, so hatten meine Freundin und ich uns getrennt, aber wir konnten nun mal nicht voneinander lassen.
Eines Nachts stritten wir uns, und ich lief durch die Straßen, bis die Bars am Morgen wieder aufmachten. Ich ging einfach ins erstbeste Lokal.
Neben mir, im Spiegel, hockte Jack Hotel und trank. Außer uns waren noch ein paar Leute da, auch nicht besser dran als wir. Was uns ein Trost war.
Was würde ich manchmal nicht darum geben, wenn ich uns noch mal dort sitzen sehen könnte: morgens um neun in einer Bar, einander Lügen auftischend, weit weg von Gott.
Auch Hotel hatte sich mit seiner Freundin gestritten. Auch er war, wie ich, durch die Straßen gelaufen. Jetzt tranken wir um die Wette, bis uns das Geld ausging.
Ich kannte ein Wohnhaus, in das die Fürsorge weiterhin Schecks für einen toten Mieter schickte. Seit einem halben Jahr stahl ich sie Monat für Monat Jedesmal al-lerdings war mir angst und bange, jedesmal zögerte ich nach dem Eingang des Schecks mehrere Tage, jedesmal sagte ich mir, ich würde bestimmt auch auf ehrliche Weise ein paar Dollars verdienen können, jedesmal war ich aufs neue überzeugt, ich sei im Grunde ein ehrlicher Mensch, der so was nicht machen sollte, jedesmal schob ich die Sache wieder und wieder auf, weil ich fürchtete, diesmal würden sie mich drankriegen.
Hotel kam mit, als ich losging, den Scheck zu holen. Ich fälschte die Unterschrift und stellte ihn auf seinen richtigen Namen aus, so daß er ihn in einem Supermarkt einlösen konnte. Ich glaube, sein richtiger Name war George Hoddel. Deutsch. Von dem Geld kauften wir Heroin und teilten es gerecht in zwei Hälften.
Dann zog er ab, um seine
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