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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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hier drin.»
    «Scheiße, Mann», sagte der Mann, «du bist ja einfach bloß betrunken.»
    «Mir egal», sagte Wayne. «Sag, was du willst, für mich säuselst du bloß wie ‘n Furz in ‘ner Papiertüte.»
    Der ungeheure, ungeschlachte Mann sagte nichts.
    «Ich werd mich jetzt hinsetzen», sagte Wayne, «und mein Spiel machen. Scheiß auf dich.»
    Der Mann schüttelte den Kopf. Er setzte sich ebenfalls. Es war erstaunlich: Er hätte nur den Arm ausstrecken und Waynes Kopf zwei oder drei Sekunden lang packen müssen, dann wäre der wie ein Ei zerplatzt.
    Und dann kam einer von diesen Momenten. Ich erinnere mich noch, wie ich mal einen von ihnen erlebt habe: Ich war achtzehn und verbrachte den Nachmittag zusammen mit meiner ersten Frau im Bett, noch bevor wir verheiratet waren. Unsere nackten Leiber begannen zu glühen, und die Luft nahm eine so sonderbare Färbung an, daß ich schon dachte, ich würde mein Leben aushauchen müssen, und mit jeder Faser, jeder Zelle meines jungen Körpers versuchte ich es festzuhalten, nur einen, immer noch einen Atemzug lang. Dann erhob ich mich torkelnd, ein Rattern zerriß mir den Kopf, ich öffnete die Tür und trat hinaus in ein Traumbild, wie ich es nie mehr sehen werde. Wo sind nur meine Frauen geblieben, mit ihren wonnevollen feuchten Worten und Weisen? Wo sind die wundersamen, riesengroßen Hagelkörner, die im Hof hinterm Haus mit einem grünen Schimmer zerbarsten?
    Wir zogen uns an, sie und ich, und Hefen nach draußen, durch Straßen, in denen fußhoch weiße, leuchtende Steine schwammen. So sollte es sein, wenn man geboren wird.
    Jener Moment in der Bar aber, als wir knapp einer Schlägerei entgingen, war wie die grüne Stille nach dem Hagelsturm. Irgendwer gab eine Runde aus. Die Karten lagen über den Tisch verstreut, Bild oben, Bild unten, und schienen vorherzusagen, daß alles, was wir einander noch antäten, vom Schnaps hinweggespült oder von traurigen Liedern hinwegerklärt werden würde.
    Wayne war ein Teil von alldem.
    Das Vine war wie ein Eisenbahn-Speisewagen, der irgendwie vom Gleis abgekommen und in einem Zeitsumpf gelandet war, wo er die Schläge der Abrißbirne erwartete. Und die Schläge würden tatsächlich kommen. Im Zuge der Stadterneuerung hatte man begonnen, die gesamte Innenstadt niederzureißen und beiseite zu schaffen.
    Und da saßen wir beide nun an jenem Nachmittag, jeder mit knapp dreißig Dollar in der Tasche, und unsere liebste, unsere allerliebste Barfrau schenkte Drinks aus. Ich wünschte, ich könnte mich an ihren Namen erinnern, aber ich erinnere mich nur an ihre Anmut und an ihre Großzügigkeit.
    Alle guten Zeiten in meinem Leben hatten immer damit zu tun, daß Wayne da war. Aber die beste Zeit, die ich je hatte, die beste von all den guten Zeiten war doch irgendwie jener Nachmittag. Wir hatten Geld. Wir waren dreckig und müde. Normalerweise fühlten wir uns schuldig und verängstigt, weil irgendwas mit uns nicht stimmte und wir nicht wußten, was es war; nur damals fühlten wir uns wie Männer, die gearbeitet hatten.
    Im Vine gab es keine Jukebox, statt dessen spielte eine gewöhnliche Stereoanlage in einem fort Melodien, die von Säufer-Selbstmitleid und kitschigen Trennungen erzählten.
    «Schwester ...», schluchzte ich, und sie schenkte uns die himmlischsten Doppelten ein, die man sich denken kann, ganze Cocktailgläser voll bis zum Rand, und ließ fünfe gerade sein, «... was für ‘n tolles Händchen du hast» Über ihren Gläsern mußte man niedergehen wie ein Kolibri Über einer Blüte. Später sah ich sie noch einmal wieder, vor einigen Jahren erst, und als ich sie anlächelte, meinte sie, ich wollte was von ihr. Aber ich war bloß mit Erinnerungen beschäftigt, das war’s. Ich werde dich nie vergessen. Dein Mann wird dich mit einem Verlängerungskabel prügeln, und der Bus wird abfahren und dich stehenlassen, aufgelöst in Tränen; aber du warst meine Mutter.

NOTAUFNAHME
     
     
    Ungefähr drei Wochen, schätze ich, hatte ich schon in der Notaufnahme gearbeitet. Das war 1973, kurz vor Ende des Sommers. Weil ich in den Nachtschichten nichts zu tun hatte, als die Krankenberichte zu sortieren, die während der Tagschichten angefallen waren, begann ich herumzuwandern, rüber in die Kardiologie, runter in die Cafeteria und so weiter. Ich suchte Georgie, den Krankenpfleger, mit dem ich mich angefreundet hatte. Er bediente sich oft aus den Medikamentenschränkchen.
    Mit einem Mop fuhr er über den gekachelten Boden des

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