Joli Rouge (German Edition)
Pläne mit ihnen, hörte sie von ihren Sorgen
berichten und sicherte sich jedes Mal aufs Neue ihre
Gefolgschaft zu. Ein derartiges Mitspracherecht gab es auf
keiner anderen Insel. Die meisten rechneten ihm dieses
Vertrauen hoch an und entlohnten es ihm, indem sie keinerlei
Geschäfte hinter seinem Rücken tätigten. Pierre ließ den
Blick flüchtig über die Anwesenden schweifen. Es waren keine
Neuankömmlinge dabei. Er setzte sich.
Bigford musterte ihn von der gegenüberliegenden Seite.
Pierre Le Picards eigentümliche Augen waren an diesem Tag
tiefschwarz. Seine Haare hatte er notdürftig zu einem Zopf
gebunden, und die hohen Wangenknochen betonten seine
eingefallenen Wangen, die auch der gestutzte Bart nicht
aufzufangen vermochte. Schatten lagen unter seinen Augen und
zeugten davon, dass er nicht viel Schlaf fand. Den Mund
umspannte ein brutaler Zug, der jeden davon abhielt, ihn
anzusprechen. Er war angemessen gekleidet und vermittelte
damit umso mehr den Eindruck eines wilden Tieres, dem man
Fesseln angelegt hatte, um es zu zähmen. Die Nasenflügel
bebten kurz, als er ihn ansah. Hätte er es nicht besser
gewusst, hätte Bigford geglaubt, er nehme Witterung auf.
Doch mittlerweile wusste er Pierre Le Picard einzuschätzen.
Der Tod der roten Jacquotte hatte ihn gebrochen. Er nahm
zwar an jedem Treffen teil, das Bertrand D’Ogeron in seinem
Haus gab, aber er war zu einem einsamen Wolf geworden, der
sein Rudel verlassen hatte. Bigford kannte diese Tiere aus
den Wäldern Englands. Sie waren stets die Gefährlichsten.
Vor Picard fürchtete er sich jedoch nicht. Der angesehene
Kapitän redete nicht viel, doch wenn er sprach, dann sprach
er Bigford aus der Seele. Selbst wenn er schwieg, teilten
sie einen gemeinsamen Kummer, ohne dass Picard davon wusste.
Sie fixierten sich kurz, bevor sein Gegenüber kaum merklich
nickte und den Blick abwandte.
Bigford trommelte mit den Fingern auf den Holztisch mit
den markanten Wurmlöchern. Es war derselbe Raum, in dem er
einst mit De L’Isle gestanden hatte, um Elias Watts sein
Schiff abzuschwatzen. Es war viel geschehen seit jener Zeit.
Er sah zu Michel Le Basque hinüber, der darauf bestand,
gegenüber von D’Ogeron am Kopfende des Tisches Platz zu
nehmen. Er war alt geworden. Graue Strähnen durchzogen seine
nachtschwarzen Haare und den dichten Bart. Schwerfällig
sackte er in den Stuhl und blies die Luft durch seine
verfärbten Zähne. Obwohl seine Augen freundlich blickten,
wusste Bigford, dass aus jeder seiner Poren der Widerstand
quoll. Bertrand D’Ogeron durchkreuzte die Pläne des Basken
und steuerte die Männer der Bruderschaft mittlerweile auf
seine ganz eigene Weise. Cayone war ein begehrter Hafen für
Flibustier jedweder Nation geworden und das einzig, weil
D’Ogeron die unentschiedene Politik von Sir Thomas Modyford,
dem derzeitigen Gouverneur von Jamaika, für seine Zwecke zu
nutzen verstand. Obwohl im Frieden mit Spanien und dem damit
einhergehenden Verbot, Kaperbriefe auszustellen, erlaubte
Modyford ab und an Kommissionsfahrten, um die nicht weniger
werdende Anzahl an Männern, die offen der Piraterie
nachgingen, in seinem Hafen zu halten. Ein Handel mit
Spanien war trotz eifriger Bemühungen aufgrund der
anhaltenden Angriffe auf ihre Schiffe und Städte niemals
zustande gekommen, und Modyford sah die Einnahmen von Port
Royal gefährdet. Doch die vereinzelten Ausnahmen boten
jenen, die unter der
joli rouge
segelten, nur wenig
Umsatzmöglichkeiten. Die meisten liefen daher die Île de la
Tortue an, um ihre Ladung zu löschen, wo sie D’Ogeron mit
offenen Armen empfing. Diese Taktik brachte ihm nicht nur
jede Art von Reichtümern ein, sondern auch wertvolle
Informationen über die Politik des Empires, und viele
englische Kapitäne starteten ihre Raubzüge inzwischen von
Cayone aus. Bigford gefiel dieses Vorgehen. Es zeugte von
einer beeindruckenden Klugheit, die D’Ogeron mit einem
gewissen Kalkül paarte, wenn er mit den unterschiedlichen
Männern der Bruderschaft zusammenkam. Bigford lauschte gerne
seinen Worten und genoss diese Zusammentreffen aufs
Äußerste.
Vorsichtig schielte er zu François L’Olonnais hinüber, der
sich neben den Basken setzte und verstohlen mit ihm
flüsterte. Er verachtete ihn für den hinterlistigen Angriff
auf die rote Jacquotte. Nicht zum ersten Mal fragte er sich,
ob der Olonnaise etwas mit dem Untergang der
Fortune Noire
zu tun gehabt hatte, auch wenn er
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