Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Taschenlampen suchend über die Mauer des Waldes zucken. Immer neue Schatten tauchten auf.
»Da sind noch mehr von denen«, flüsterte Eliane.
Jonathan nickte. Von allen Seiten der Lichtung waren plötzlich Bewegungen zu sehen. Augen blitzten auf, weiß wie das Mondlicht, und verschwanden wieder. Sie kamen näher.
Jonathan ließ alle Vorsicht sausen und rannte. »Eliane!«, schrie er.
Sie hatte verstanden und blieb an seiner Seite. Obwohl sie einen Kopf kleiner war als er, konnte sie laufen wie der Wind. Doch was auch immer sie verfolgte, es war schneller. Immer wieder sah Jonathan eines der Wesen im Licht aufblitzen. Er bemerkte graues Fell und lange spitze Raubtierzähne. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf, und er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er sich täuschte.
Aber es war zu spät.
Die Wölfe kreisten sie ein und versperrten ihnen den Weg. Knurrend und zähnefletschend standen sie vor ihnen.
»Wölfe!«, keuchte Eliane überrascht. »In dieser Gegend gibt es keine Wölfe …«
Jonathan spürte, wie sich sein Innerstes zusammenzog. Ein Blick über die Schulter genügte, und er wusste, dass seine schlimmsten Befürchtungen eingetroffen waren: »Riot!«
Der Mann trat aus dem Schatten und klatschte anerkennend in die Hände. Wie bei ihrer ersten Begegnung trug er dieselbe zerschlissene Uniform.
»Ich muss schon sagen, ich bin wirklich beeindruckt. Du bist ein anderes Kaliber als dein Vater, mein Kleiner. Der Cornelius Harkan, den ich kenne, wäre niemals bei Nacht in den Wald gegangen. Er hätte auf die Stimme der Vernunft gehört und wäre schön im warmen Bett geblieben, dieser Feigling.«
»Mein Vater ist kein Feigling!«, gab Jonathan zurück.
Riot spuckte auf den Boden und grinste sein glitzerndes Goldzahn-Lächeln. »Wir beide wissen es besser, nicht wahr? Wen hast du da mitgebracht? Ein Püppchen aus dem Dorf. Und ein hübsches noch dazu.«
Eliane schoss die Röte ins Gesicht. »Dir sitzt wohl die Hose zu eng! Niemand nennt mich ›Püppchen‹, und schon gar kein Typ, der seine Uniform aus der Altkleidersammlung hat.«
Riot lachte donnernd und ging auf Eliane zu, um ihr in die Wange zu kneifen. Sie riss sich los und schenkte ihm einen hasserfüllten Blick. Obwohl sie im Vergleich zu Riot ein Zwerg war, zeigte sie keine Angst. Jonathan bewunderte sie für ihren Mut.
»Hübsch und mutig! Du hast einen guten Geschmack, Kleiner, das muss ich dir lassen. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf: Besorg ihr schnell einen Maulkorb. Nicht jeder hat so viel Humor wie ich.«
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, fragte Jonathan.
»Du hast ein Talent, dich in Schwierigkeiten zu bringen, Kleiner. Es war klar, dass du nicht auf deinen Vater hören würdest. Ich habe meinem Herrn von dir berichtet. Er wollte sich selbst ein Bild von dir machen.«
Jonathan zuckte zusammen. Riot mochte ein Riese sein, der sich mit Raubtieren umgab. Aber er war ein Gegner aus Fleisch und Blut, er konnte besiegt werden. Bei dem Weltenwanderer war er sich da nicht so sicher. Was auch immer sich hinter der Maske verbarg, es kannte keine Furcht. Riot grinste, als er den Gedanken in seinem Gesicht las.
»Ja, du bist ihm begegnet. Und er hat befohlen, jeden deiner Schritte zu überwachen. Eine weise Entscheidung, wie sich jetzt zeigt. Ohne dich hätten wir das Herz des Lazarus nicht so einfach in die Hände bekommen. Ich bin dir also zu Dank verpflichtet, Johathan.«
»Wenn dein Herr so groß und mächtig ist, warum hat er es nicht einfach selbst geholt? Hat er etwa Angst vor Thorne und dem Haus?«
Riot machte ein Gesicht, das fast mitfühlend war. »Cornelius hat dir also tatsächlich nichts verraten, was? Du hast nicht die Spur einer Ahnung, mit wem du es hier zu tun hast.«
Jonathan wollte es leugnen, doch sein Zögern hatte ihn bereits verraten. Riot schüttelte den Kopf, als ob er die Entscheidung seines alten Freundes missbilligte. Er kraulte einem Wolf die Kehle, als er weitersprach.
»Furcht ist eine Regung, die mein Herr nicht kennt«, sagte er. »Eine menschliche Regung. Eine Verwirrung des Geistes. Nein, Kleiner. Das Herz des Lazarus wäre längst in seinem Besitz, doch dieser Gumbold Blogarth und sein dummer Schoßhund hätten es zerstört, wenn unsereins ihm auch nur zu nahe gekommen wäre. Gut, dass du es geholt hast, bevor es dazu kommen konnte. Du trägst es bei dir, in deiner Jackentasche. Gib es mir.«
Entschlossen wich Jonathan zurück. »Ich gebe es dir, wenn du meine Mutter
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