Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
haben und eines Tages, wenn meine Zeit gekommen ist, Abschied von der Welt nehmen wie jeder normale Mensch.«
»Aber dann hat es sich geteilt«, sagte Jonathan.
Ein Schatten fiel auf Cornelius’ Gesicht. »Es hat uns beide in den Dienst berufen. Damit hat niemand gerechnet. Ich wollte mich weigern, aber mein Vater war so stolz … an seinem Sterbebett nahm er mir das Versprechen ab, dem Großen Kreis beizutreten.«
»Einst waren wir viele«, fuhr Cassius fort. »Männer und Frauen aus allen Ländern. Das Eyn war ein Zeichen des Friedens. Wir erkannten uns, wenn wir einander begegneten. Vereint hat uns eine Aufgabe, diese Welt zu beschützen …«
»Beschützen? Wovor?«
Cornelius wurde ernst. »Nur die Herren des Kreises dürfen entscheiden, wer in dieses Geheimnis eingeweiht wird und wer nicht. Brichst du diesen Eid, verlierst du das Eyn und bist nicht länger Teil der Ordnung.«
Jonathan hatte Mühe, die Enttäuschung zu verbergen; er wurde also wieder einmal vertröstet. Immerhin war es etwas leichter zu ertragen, weil er spürte, dass die beiden Brüder ihm die Wahrheit sagten. Sie hätten seine Fragen beantwortet, wenn es ihnen gestattet gewesen wäre. Er wandte sich seinem Vater zu.
»Also gibt es doch einen Weg, sich dem Ruf zu widersetzen. Du musst nur den Eid brechen.«
»Gewiss, diese Möglichkeit hast du. Aber wenn du den Schwur brichst und das Eyn verrätst, wird es deine Erinnerungen ausradieren wie Bleistiftstriche auf weißem Papier.«
»Der Kreis kann nicht zulassen, dass jemand seine Geheimnisse ausplaudert. Es steht zu viel auf dem Spiel«, bekräftigte Cassius.
Cornelius nahm den Faden wieder auf: »Lange Zeit konnte der Große Kreis seine Aufgabe erfüllen und diese Welt behüten, unsichtbar für die Augen der Menschen.«
»Ein simples Konzept und gerade deshalb erfolgreich«, fügte Cassius hinzu.
Cornelius senkte seine Stimme. »Wir haben nur einen einzigen wirklich mächtigen Feind. Ein Wesen, das uns auslöschen will und nach absoluter Kontrolle strebt: der Weltenwanderer.«
Jonathan schauderte.
Cassius griff in ein Regal mit Plunder und zog ein altes Schwert hervor. Er vollführte ein paar elegante Schwünge, die zeigten, dass er wusste, wie man eine Klinge führte. Nachdenklich berührte er das Schwert. Seine Schneide war scharf wie ein Rasiermesser und hinterließ einen Schnitt auf seiner Fingerkuppe, aus dem Blut troff. Gedankenverloren legte er die Waffe zur Seite und wischte das Blut mit einem Taschentuch ab.
»Einmal hätte der Weltenwanderer uns Menschen fast vernichtet«, raunte er. »Lange ist das her, und heute reden sie von glorreichen Schlachten und triumphalen Siegen. Egal was sie dir erzählen, Junge: Da ist nichts Glorreiches am Krieg. Zu kämpfen ist ein schmutziges Geschäft, für das stets die Schwächsten den Preis bezahlen. Wir kämpfen nur, um uns zu verteidigen, und nur für ein einziges Ziel: die Freiheit.«
Sanft riss Cornelius das Wort wieder an sich: »Nur um die Freiheit der Menschen zu bewahren, sammelten sich alle Mitglieder des Großen Kreises und zogen in den Krieg gegen den Weltenwanderer. Heerscharen fielen aus der Dunkelheit über unsere Vorfahren her. Es gab keine Hoffnung mehr, bis ein unscheinbares Ding die Wende brachte …«
»Das Herz des Lazarus«, sagte Jonathan.
Cassius nickte. »Unsere Vorfahren bekamen es als Leihgabe von unseren letzten Verbündeten, dem Volk der Chimerianer.«
»Chimeri… was?«
»Die Chimerianer gehören seit langer Zeit zu den wichtigsten Freunden und Verbündeten der Menschen. Als sie sahen, dass wir kurz davor waren, den Kampf gegen den Weltenwanderer zu verlieren, haben sie uns ihren wichtigsten Schatz geliehen, damit wir unsere Verwundeten und Verletzten versorgen konnten. Dank ihrer Hilfe und dem Herz des Lazarus konnten die Menschen wieder zu neuer Stärke finden und den Weltenwanderer besiegen.«
»War er … tot?«
»Du kannst nicht töten, was nicht lebt«, sagte Cassius.
»Aber er lebt! Ich habe mit ihm gesprochen«, widersprach Jonathan – und biss sich auf die Zunge. Es war zu spät, er konnte das Gesagte nicht mehr ungesagt machen.
Cornelius verlor alle Farbe aus dem Gesicht. »Du hast … was?«
Eine Ausrede war sinnlos, sein Vater hätte ihm ohnehin kein Wort mehr geglaubt. Jonathan entschied sich für die Wahrheit. »Da war dieser freundliche alte Herr mit den weißen Handschuhen und dem Spazierstock. Ich hab ihn im Wald getroffen und dachte mir nichts dabei.«
»Du dachtest dir
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