Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
versprochen.«
Cornelius wollte etwas erwidern, musste sich aber wieder von seinem Bruder über den Mund fahren lassen.
»Du hast gesehen, was geschieht, wenn dein Sohn nicht eingeweiht wird, Cornelius. Außerdem können wir im Augenblick jede nur erdenkliche Hilfe gebrauchen. Es ist fast ein Tag vergangen, seit wir Riot verscheucht haben. Er wird bald zurück sein, und dann wird er sich Hilfe geholt haben, die gefährlicher ist als ein Rudel verlauster Wölfe!«
»Ich will nicht, dass Jonathan sich in Gefahr begibt!«, beharrte Cornelius.
Erbost schlug Cassius auf den Tisch. »Ich würde eher sterben, als zuzulassen, dass dem Jungen etwas geschieht, das weißt du. Aber wir müssen jetzt schnell handeln.«
Kopfschüttelnd wandte Cornelius sich an Jonathan. »Siehst du denn nicht, was du angerichtet hast? Der Stein war sicher dort, wo wir ihn verwahrt hatten.«
»Er ist niemals sicher«, widersprach Cassius. »Wir hätten ihn zerstören sollen, das habe ich dir von Anfang an gesagt.«
»Das dürfen wir nicht. Er ist zu wertvoll für uns, und er gehört den Chimerianern. Wir müssen ihn zurückgeben, oder die letzten Bande zwischen uns zerreißen!«
»Ihn zurückgeben? Und wer soll das tun? Du etwa?« Cassius lachte humorlos. »Der Feind hat seine Augen überall, und du weißt besser als jeder von uns, wie skrupellos er sein kann. Nein, kleiner Bruder. So funktioniert es nicht.«
Cornelius schwieg. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, sodass die Knochen weiß hervortraten. Sein ganzer Körper stand unter Spannung.
»Ich habe herausgefunden, wo sie Helena gefangen halten«, sagte er leise. »Zumindest glaubte ich das. Der erste von vielen Irrtümern. Der zweite war meine Überzeugung, sie befreien zu können. Riot hat mich in eine Falle gelockt. Als ich kam, hat er mich bereits erwartet.«
»War er allein?«
»Er hatte ein Dutzend Getreue bei sich, Soldaten, Söldner, Verbrecher. Als klar war, dass ich das Herz des Lazarus nicht bei mir hatte, gab er ihnen den Befehl, mich gefangen zu nehmen. Sie haben Jagd auf mich gemacht. Es war pures Glück, dass ich ihnen entkommen konnte.«
Jonathan schluckte seine Angst hinunter. »Hast du sie gesehen? Mama, meine ich? Lebt sie noch?«
»Der Ort, an dem ich sie vermutet habe, war nichts weiter als ein leeres Gebäude mitten im Nirgendwo. Deine Mutter ist nie dort gewesen, und ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist, Jonathan. Aber mein Herz sagt mir, dass sie noch lebt. Wir müssen nur herausfinden, wo sie gefangen gehalten wird. Mit der Unterstützung meines kämpferischen großen Bruders haben wir sicher eine Chance.«
Cassius knurrte, ohne eine Antwort zu geben. Jetzt war der Moment gekommen. Der Augenblick, auf den Jonathan so lange gewartet hatte. Er stellte sich vor die beiden Männer und sah ihnen entschlossen in die Augen.
»Ich will euch helfen. Auch wenn es gefährlich wird. Ich bin alt genug, für mich selbst entscheiden zu können.«
Cornelius und sein Bruder tauschten einen Blick. Schließlich nickte Cassius. Jonathans Beharrlichkeit gefiel ihm.
»Der Junge hat bewiesen, dass er bereit ist. Sag ihm die Wahrheit, Cornelius.«
»Du weißt, dass es uns verboten ist, über diese Dinge zu reden, solange ihm der Eid nicht abgenommen wurde«, gab Cornelius zu bedenken.
»Mach dich nicht lächerlich. Du hast Jonathan dein Eyn gegeben! Jetzt kannst du ihm genauso gut die Wahrheit sagen.«
Cornelius schloss die Augen. Jonathan wusste, was in ihm vorging: Er hatte immer davon geträumt, seinem Sohn das Leben bieten zu können, das ihm selbst verwehrt geblieben war. Damit war es jetzt vorbei. Zu viel war geschehen. Unwissenheit konnte Jonathan nicht länger vor Schaden bewahren. Es war Zeit, das Versprechen einzulösen, das er ihm vor vier Tagen gegeben hatte. Es war Zeit für Antworten.
»Also gut«, seufzte er.
Dann begann er, seine Geschichte zu erzählen.
Vierzehntes Kapitel
Cornelius’ Geschichte
»Der Große Kreis ist so alt wie diese Welt«, begann Cornelius. »Aber kein Mensch weiß, dass es ihn gibt. Niemand kennt seine Ziele. Niemand außer uns. Wir sind ein Teil von ihm. Wir wurden gerufen, so wie unser Vater vor uns. Als er starb, hat er Cassius das Eyn übergeben.« Jonathans Vater warf einen Blick zu seinem Bruder, der mit steinerner Miene aus dem Fenster starrte und schwieg. »Es war einzig und allein für ihn bestimmt. Ich wollte es nicht. Ich war nicht bereit dafür, dem Kreis zu dienen. Ich wollte eine Familie, heiraten, Kinder
Weitere Kostenlose Bücher