Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
am Tisch und starrten ins Nichts. Jonathan musste nur ihre Gesichter lesen, um zu wissen, welche Sorgen sie plagten. Eine Frage stand unausgesprochen im Raum, deren Antwort er längst kannte. Nein, es gab keinen Ausweg aus dieser Situation. Sie konnten keine Polizei rufen, keine Feuerwehr oder Regierung. Die Menschen um sie herum wussten nicht, was hier gespielt wurde, und waren einem Gegner wie Riot hilflos ausgeliefert. Jonathan schauderte bei dem Gedanken, was geschah, wenn sie ihm das Herz des Lazarus übergaben. Eine unbesiegbare Armee unter dem Befehl eines Wahnsinnigen, das durften sie auf keinen Fall zulassen. Cornelius hatte etwas Zeit gewonnen, aber die Minuten verstrichen ungenutzt. Immer wieder wälzten sie die gleichen Gedanken, um zu demselben Ergebnis zu kommen: Die Situation war hoffnungslos.
»Ich könnte ihn zum Kampf fordern«, brummte Cassius in die Stille hinein. »Wenn ich die richtigen Beleidigungen finde, wird er sich garantiert darauf einlassen, dieses Ameisenhirn.«
Cornelius schüttelte den Kopf. »Selbst wenn du ihn besiegst, Riot ist nicht unser wahres Problem, das weißt du so gut wie ich. Wenn er verschwindet, rückt ein anderer an seine Stelle. Er ist nur eine Marionette.«
»Also sitzen wir hier und warten auf unser Ende? Oder wir verlassen das sinkende Schiff wie ein paar Ratten und suchen unser Heil in der Flucht.«
Cornelius schloss die Augen und antwortete nicht. Ja, auch diese Option hatte er schon bedacht, auch wenn der Gedanke wie ein Messerstich war.
Cassius wischte den Gedanken mit einer zornigen Geste beiseite. »Das wird nicht geschehen! Wir überlassen das Dorf nicht einfach seinem Schicksal. Nicht, solange ich noch atmen kann!«
Aber was, wenn ihnen keine Wahl blieb? Jonathan fröstelte, als ihm die grausame Rechnung durch den Kopf ging. Sie konnten das Dorf opfern und damit vielen anderen das Leben retten. Aber diese Möglichkeit war das Ergebnis kalter Mathematik, die Entscheidung einer Maschine, die blanke Zahlen in die Waagschale warf. Die Wirklichkeit sah anders aus. Allein der Gedanke, dass Eliane etwas geschah, war entsetzlich. Nein, er wollte nicht, dass den Dorfbewohnern auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Keinem einzigen von ihnen.
»Es muss einen Weg geben«, sagte er.
Cornelius dachte angestrengt nach. Seine Stirn legte sich in Falten, bis er seinem Bruder immer ähnlicher wurde, und er rubbelte sich durch sein dichtes schwarzes Haar. Gebetsmühlenartig wiederholte er Jonathans Satz.
»Es muss einen Weg geben …«
Er fuhr hoch – um gleich wieder in sich zusammenzusinken. Jonathan und Cassius sahen ihn erwartungsvoll an.
»Spuck’s aus!«, fuhr Cassius ihn an.
Cornelius schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist unmöglich. Ich dachte, es könnte ein Ausweg sein, aber …«
»In einer ausweglosen Situation hat auch die dümmste Idee ihre Berechtigung. Besonders wenn sie von dir kommt.«
Cornelius schenkte ihm einen schiefen Blick, blieb aber ernst und sprach seine Gedanken aus: »Wir dürfen das Herz des Lazarus nicht an Riot übergeben, oder wir riskieren die Vernichtung des Großen Kreises. Wir könnten es zerstören. Aber wenn wir das tun, werden sich die Chimerianer für alle Zeiten von uns abwenden. Das wäre fatal. Sie waren immer unsere Verbündeten und haben uns aus vielen üblen Situationen geholfen …«
»So weit, so bekannt. Sprich weiter!«
»Auch wenn seine heilenden Kräfte sehr nützlich sind … solange wir das Herz des Lazarus in unserem Besitz haben, wird der Weltenwanderer uns jagen. Ob es uns nun gefällt oder nicht, wir müssen es irgendwie loswerden. Sind wir uns da einig?«
Cassius und Jonathan nickten. Dieser Logik war schwerlich zu widersprechen.
»Dann haben wir zumindest in diesem Punkt schon mal eine Entscheidung getroffen. Bleibt ein Problem: Es gibt im Grunde nur eine einzige Möglichkeit, die Sache auf korrekte Art zu erledigen. Wir haben uns das Herz des Lazarus ausgeliehen und müssen es den Chimerianern wieder zurückgeben. Nur bei ihnen ist es wirklich in Sicherheit.«
Cassius’ Miene zeigte zuerst Verwirrung, dann Überraschung und schließlich Ablehnung.
»Es den Chimerianern zurückgeben? Du hast zwei Kleinigkeiten vergessen, kleiner Bruder: Wenn wir Riots Bedingungen nicht erfüllen, werden die Dorfbewohner dafür bezahlen.«
»Cassius, egal was geschieht, wir werden kämpfen müssen. Und sei es nur, um unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Wir haben einen Schwur geleistet, die Menschen zu
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