Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
beschützen. Und genau das werden wir tun. Ich will das Dorf nicht opfern. Aber du weißt so gut wie ich, dass Riot nicht einfach abziehen wird, selbst wenn wir alle seine Bedingungen erfüllen.«
Hinter Cassius’ Stirn arbeitete es. »Du sagst, du hast seine Truppen gesehen. Wie viele Männer waren es?«
»Fünfzig. Vielleicht mehr. Genau weiß ich es nicht«, sagte Cornelius. »Aber es werden mehr. Mit jeder Stunde.«
Grimmig ballte Cassius die Faust.
»Ihr könntet Hilfe holen«, schlug Jonathan vorsichtig vor. »Thorne wird bestimmt an eurer Seite kämpfen, wenn ihr ihn darum bittet. Und was ist mit dem Großen Kreis? Habt ihr nicht gesagt, dass ihr überall auf der Welt Leute habt?«
Überrascht sahen sein Vater und sein Onkel ihn an. Dieser Gedanke war so naheliegend, dass ihn offenbar keiner der beiden bedacht hatte. Cornelius’ Gesicht hellte sich auf.
»Jonathan hat recht! Wir sind nicht mehr viele, aber schon zehn von uns könnten es mit einer Horde von Riots Männern aufnehmen.«
»Wir beide hatten lange keinen Kontakt zum Kreis, Cornelius. Wir sind Ausgestoßene.«
»Mag sein, aber ich habe noch immer viele Freunde. Sie werden kommen, wenn ich sie rufe. Und sie werden andere Freunde mitbringen.«
»Ihr habt bestimmt eine Art magische Verbindung, mit der ihr Kontakt aufnehmt«, vermutete Jonathan neugierig.
Sein Vater musste grinsen. »Ja, ein Zauberkasten mit kleinen Tasten. Wir nennen es ›Telefon‹.«
Cassius blieb ernst. Er wirkte noch immer nicht überzeugt.
»Vielleicht können wir unser Ende ein wenig hinauszögern, und der Gedanke gefällt mir, das gebe ich zu. Aber es muss schon ein Wunder passieren, damit wir das Herz des Lazarus hier herausschmuggeln können. Riot kam nicht allein, und ich verwette die Burg mit allen Ländereien, dass er überall seine Späher hat. Keiner von uns kann einfach unerkannt hier herausspazieren. Und selbst wenn, dann erwartet ihn eine Herkules-Aufgabe: Er muss unerkannt durch das Dorf, an Riots psychopathischen Schergen vorbei und zu den Chimerianern, deren Existenz in diesen Wäldern nicht viel mehr als eine vage Hoffnung ist. Und selbst wenn sie sich noch da draußen herumtreiben, wir schaffen es wahrscheinlich nicht einmal bis zum Burgtor. Nein, kleiner Bruder. Es gibt niemanden, der für diese Aufgabe geeignet ist.«
»Doch, den gibt es«, widersprach Jonathan. Er nahm allen Mut zusammen und sagte: »Mich!«
Für einen Augenblick sah es so aus, als ob sein Onkel in verzweifeltes Gelächter ausbrechen würde, doch er schwieg und starrte Jonathan an. Als Cornelius begriffen hatte, dass der Vorschlag ernst gemeint war, schüttelte er verärgert den Kopf.
»Schlag dir das gleich wieder aus dem Kopf! Du bleibst hier in der Burg und wartest …«
»Worauf? Dass Riot euch beide umbringt?« Entschlossen sprang Jonathan auf. »Überleg doch mal, Papa! Ich bin schnell, ich kann mich verstecken, und niemand von denen erwartet mich. Riot kennt dich! Er weiß, dass du es niemals zulassen würdest, dass dein eigener Sohn so einen gefährlichen Auftrag erfüllt. Er rechnet einfach nicht mit mir.«
Cornelius wollte etwas erwidern, doch sein Mund öffnete und schloss sich wieder, ohne dass ihm ein Wort über die Lippen kam. Cassius starrte Jonathan ungläubig an. Beide wussten, dass es ein dummer, verwegener, hoffnungsloser Plan war – und dass er genau deswegen funktionieren konnte.
Jonathan drängte weiter: »Ihr bleibt hier, ruft Verstärkung und beschützt das Dorf. Dabei bin ich euch nur im Weg, ich kann nicht kämpfen. Aber ich kann rennen, und zwar ziemlich schnell! Das habe ich in der Schule gelernt, wenn sie mich wieder mal verprügeln wollten.«
»Du wurdest verprügelt?«, fragte Cornelius erstaunt, als ob er die Neuigkeit des Tages hörte. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«
Jonathan verdrehte die Augen. »Papa, das ist jetzt wirklich unwichtig. Hast du mir zugehört?«
Sein Vater musste sich sammeln. Hilfesuchend blickte er zu Cassius, der noch immer keine Regung zeigte.
»Sag du es ihm!«, bat Jonathan seinen Onkel. »Ich habe mich aus der Burg geschlichen, ich habe das Haus unserer Familie gefunden, ich habe das Herz des Lazarus in die Hände bekommen, und das alles, obwohl du mich bewacht hast!«
In Cassius’ Miene kamen plötzlich Lachfalten zum Vorschein, und er brummte amüsiert. Fassungslos ging Cornelius ihn an.
»Nein! Cassius, du denkst doch wohl nicht etwa ernsthaft über diesen Wahnsinn nach? Jonathan ist dreizehn Jahre
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