Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
wahr? Es geht doch nichts über ein kleines Unwetter.«
An seiner Seite war ein hagerer Bursche mit ungepflegter Löwenmähne und pockennarbigem Gesicht. Seine Augen glitzerten voll ungebändigtem, bösartigem Irrsinn. Kichernd kratzte er seinen Haarschopf, in dem sich offenbar Läuse eingenistet hatten. Jonathan schüttelte sich vor Ekel. Selten hatte er einen so widerlichen Burschen gesehen. Er konnte den Schweiß und Dreck, der in dessen abgewetzter Jacke hing, förmlich riechen.
Cornelius, Cassius und Jonathan standen wie eine Mauer. Keiner von ihnen sagte ein Wort, keiner zeigte eine Spur von Angst, keiner wich auch nur einen Zentimeter von seinem Platz. Hass blitzte in Cornelius’ Miene auf, doch er blieb ruhig. Riot zeigte sich unbeeindruckt. Er war ohne seine Wölfe gekommen. Er suchte keinen Kampf. Noch nicht.
»Sieh an, die Familie Harkan ist wieder vereint«, spöttelte er. »Cornelius, du hast dich ja prächtig von unserer letzten Begegnung erholt. Lasst mich raten: Ihr habt das Herz des Lazarus benutzt? Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, welche Kräfte in diesem kleinen Wunderstein schlummern, nicht wahr? Und wen sehe ich da? Der alte Eremit Cassius hat sich also entschlossen, dem Großen Kreis wieder beizutreten? Eine mutige Entscheidung, vor allem in diesen Zeiten. Lange dachte ich, dass du zu feige bist, um dich deiner Bestimmung zu stellen. Es freut mich zu sehen, dass ich mich geirrt habe.«
Riot ging auf Cornelius zu und klopfte ihm auf die Schulter. Eine Demütigung und Provokation. In diesem Augenblick bewunderte Jonathan seinen Vater, dass er so ruhig bleiben konnte. Der Impuls, Riot an den Hals zu springen und ihn mit blanken Fäusten zu traktieren, wurde so stark, dass er ihn kaum noch kontrollieren konnte. Riot bemerkte es.
»Und da ist der mutige kleine Teufelskerl, der es gewagt hat, mir die Stirn zu bieten. Du darfst heute ein zweites Mal Geburtstag feiern, mein Kleiner. Dein Leben ist ein Geschenk deines Onkels. Wäre er nicht gewesen, hätten meine Wölfe dich zum Hauptgericht und deine hübsche kleine Freundin zum Dessert verspeist …«
Cassius vollführte eine scharfe Geste, die Riot das Wort abschnitt.
»Niemand hier interessiert sich für dein Geschwafel, Riot. Du hast eine Botschaft für uns. Übermittle sie und verschwinde wieder!«
Knöcheltief versanken Riots Stiefel im Schnee. Innerhalb weniger Minuten hatte sich der milde Sommertag in eine Winternacht verwandelt. Er lächelte zufrieden, und der Sturm erstarb. Als ob ein bloßer Gedanke von ihm genügte, um dem Unwetter Einhalt zu gebieten.
»Wisst ihr, meine Freunde, so eilig habe ich es nicht. Dieser Ort gefällt mir. Ja, wirklich. Wenn alles vorbei ist, werde ich vielleicht hier sesshaft werden. Und dein Kopf, Cassius, wird als Jagdtrophäe über meinem Kamin hängen, zwischen Hirschen und Wildschweinen. Wie gefällt dir das?«
»Du stiehlst mir meine Zeit«, gab Cassius kalt zurück. »Ein Laufbursche deines Meisters bist du, also erfülle deinen Auftrag und verschwinde wieder!«
Riot lachte. »Ein Laufbursche bin ich vielleicht, aber einer mit Zukunft. Das kann nicht jeder hier von sich behaupten. Oder gibst du dich ernsthaft der Hoffnung hin, dass du dieses kleine Spektakel überleben wirst, Cassius? Nein, euer Leben könnt ihr nicht mehr retten, aber das der Menschen hier. Es wäre doch schade, wenn dieses beschauliche Dörfchen mit einem Schlag verschwinden würde.«
Cassius wurde weiß wie der Schnee. »Das wagst du nicht«, brachte er hervor.
»Glaubst du, alter Freund? Mach einen kleinen Spaziergang durch Bärenfels, und du wirst sehen, dass es mir ernst ist. Ich hätte es vorgezogen, die Dinge im Stillen zu erledigen, schließlich erregt mein Herr nur äußerst ungern Aufsehen. Aber mit eurer Sturheit habt ihr mir keine Wahl gelassen.«
»Das Herz des Lazarus ist nicht hier!«, rief Cornelius.
Ein Grinsen machte sich auf Riots Narbengesicht breit, und der Lockenkopf an seiner Seite kicherte böse.
»Du willst also Zeit schinden, Cornelius? Warum sprechen wir nicht offen, alter Freund?«
Cornelius sah ihm fest in die Augen. »Ich habe das Herz des Lazarus an einem sicheren Ort versteckt. Wenn du glaubst, dass ich lüge, dann töte mich. Vielleicht hast du Glück und findest es ganz ohne meine Hilfe. Vielleicht aber auch nicht. In diesem Fall kannst du deinem Herrn gern erklären, warum du versagt hast. Er wird sicher Gnade walten lassen. Dafür ist er schließlich bekannt.«
Es zuckte
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