Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
aus dem Schlaf reißen, dann sollten wir es im richtigen Moment tun. Wir dürfen nicht riskieren, dass er einfach davonläuft.«
»Oder uns alle plattwalzt«, sagte Jonathan.
Cornelius seufzte ungeduldig. »Das auch … aber viel wahrscheinlicher ist, dass er sich einfach wieder hinlegt und weiterschläft. Wenn das passiert, bekommen ihn keine zehn Glocken wieder wach. Wir haben nur diese eine Chance, und ich will sie nicht vergeuden. Ach, und noch etwas: Aschenriesen haben schreckliche Manieren. Für den Fall, dass er schlechte Laune hat, solltet ihr euch besser im Wald verstecken, denn dann trifft sein Zorn jeden, ob Freund oder Feind.«
»Eine große Tasse mit schwarzem Kaffee hilft bei meinem Vater immer prächtig«, sagte Eliane.
Cornelius lächelte. »Gute Idee. Allerdings müsste diese Tasse schon die Größe eines Schwimmbeckens haben.«
Er fing sich einen drängenden Blick von Cassius ein und erhob sich. Schon verließen die ersten von Riots Männern das Unterholz und traten auf die Lichtung. Bedrohlich marschierten sie auf das alte Haus zu. Mit kalter Miene führte Riot sie an. An seiner Seite war Aurora, die den Marsch scheinbar ohne das kleinste Anzeichen von Müdigkeit bewältigt hatte.
»Es ist Zeit!«, sagte Cornelius und zog einen schweren, eisernen Schlüssel hervor, den er Jonathan überreichte. »Tut, was ich euch gesagt habe. Und denkt daran: Wartet auf mein Zeichen!«
Jonathan wollte gehorchen, doch seine Beine verweigerten den Dienst. Verzweifelt sah er auf Riots gewaltige Heerscharen. Es waren Hunderte, und noch dazu schwer bewaffnet. Cornelius und Cassius hingegen waren nur zu zweit und trugen keinerlei Waffen.
»Aber ihr seid ganz allein!«, rief er.
Ein vielsagendes Lächeln überflog Cassius’ Miene. »Wer behauptet denn so etwas?«
Er stieß einen Pfiff aus, der bis weit über alle Wälder hinaus zu hören war. Im selben Augenblick flogen die Türen des alten Hauses auf, und zahllose Frauen und Männer stürmten daraus hervor. Aus allen Teilen der Welt waren sie gekommen, um Cornelius, Cassius und dem Großen Kreis beizustehen. Einige waren schon sehr alt, andere kaum älter als Jonathan, manche von ihnen in der Tracht ihres Landes, andere in Kitteln, Schürzen und Anzügen. Jonathan sah Ärztinnen, Handwerker, Polizisten und Feuerwehrmänner, Anwälte, Lehrerinnen, Stewardessen, Studenten und Hausmänner, einige aus weit entfernten Ländern, andere aus der Gegend. Sie waren offenbar so überstürzt gekommen, dass ihnen nicht einmal die Zeit geblieben war, sich umzuziehen. Doch egal wie unterschiedlich ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht, ihre Herkunft, ihr Alter oder ihr Beruf auch sein mochten, sie bildeten eine Einheit, die untrennbar war: Sie alle waren der Große Kreis, sie alle beschützten die Welt der Menschen, und sie alle trugen das Eyn sichtbar und stolz. Es hatte die unterschiedlichsten Formen, mal ein Ohrring, dann ein Collier, Fußschmuck oder Armband, und ein jedes hatte den typischen bläulichen Schimmer. Jonathan bekam unweigerlich eine Gänsehaut, als er das Bild sah. Nicht fünfzig oder sechzig waren gekommen, wie Riots Spione vermutet hatten, sondern weit über hundert. Der Anblick all der Menschen, die der gewaltigen Übermacht des Bösen voller Mut und Entschlossenheit begegneten, gab auch ihm neue Kraft.
Cassius pfiff ein zweites Mal, und Thorne stieß aus den Wolken hervor. Er trug Gefäße aus Ton herbei, die er mit seinen kräftigen Krallen zerdrückte. Grüner Staub quoll aus den Scherben hervor und sank über Riots Armee nieder.
Riot sah es und wurde bleich vor Wut. »Waffen weg!«, schrie er. »Versteckt sie, weg damit!«
Sein Befehl führte unter den Soldaten zu einem Durcheinander. Hektisch versuchten sie, die Pistolen und Messer vor dem grünen Staub zu schützen, doch es war zu spät. Alles, was aus Metall bestand, zerfiel unter der geheimnisvollen Substanz und verwandelte sich vor den Augen der staunenden Meute in Asche. Pistolen, Eisenstangen, Messer, ja sogar Knöpfe verschwanden plötzlich, und manch ein raubeiniger Kämpfer musste sein Beinkleid festhalten, damit es ihm nicht zu Boden rutschte.
In Cassius’ Augen funkelte der Spott. »Nette kleine Armee hast du da, Riot. Pass nur auf, dass sie nicht plötzlich in Unterwäsche kämpfen muss. Oder wolltest du, dass wir uns zu Tode lachen? Ein raffinierter Plan!«
Der Boden zitterte, als Thorne neben ihm landete. Riot gab seinen Truppen das Zeichen, auf seinen Befehl zu warten. Ein kurzer,
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