Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
nicht sehr nett, was ihr mir da im Wald angetan habt. Onkel Seppuku ist sehr böse …«
Hasserfüllt funkelte Jonathan ihn an. Er wollte nicht mehr davonlaufen.
»Du machst mir keine Angst, du Freak«, sagte er.
Mit einem wütenden Schrei stürzte sich Seppuku auf ihn und wollte ihn packen – bis ihm plötzlich ein kupferfarbenes Ei auf den Schädel fiel. Das Uvorium traf ihn mit der Wucht eines Hammerschlags. Seppuku warf einen ungläubigen Blick auf die eiförmige Glocke, die an einem Seil vor seinem Gesicht baumelte, und kippte um wie ein gefällter Baum. Behände ließ sich Eliane herab und landete neben Jonathan auf den Füßen.
»Du hast ihn glatt umgehauen«, stellte Jonathan verblüfft fest.
»Ich habe übersehen, dass da noch ein Seilzug war«, erklärte sie, nun wieder grinsend. »Dieser Kerl redet einfach zu viel.«
Jonathan empfand keinen Triumph. Noch einmal hörte er die Stimme seines Vaters, die langsam schwächer wurde.
»Schlag es … bitte … Jonathan …«
Ohne den Klöppel war das Uvorium nutzlos. Es würde stumm bleiben. Jonathan wollte schreien vor Wut und Trauer – bis er ein leises, brummendes Geräusch vernahm, das aus dem Inneren des kupferfarbenen Eis nach außen drang. Der Ton schwoll langsam an, dumpf und durchdringend, dass Jonathan ihn bald in den Eingeweiden spüren konnte. Er wurde lauter. Er presste sich die Hände auf die Ohren. Eliane folgte seinem Beispiel, doch es half nichts: Der Ton durchdrang jede Faser, er brachte Wände zum Erzittern und den Boden zum Beben. Sogar die Schlacht kam für einige Sekunden zum Erliegen. Der Schmerz war fast unerträglich, doch Jonathan brachte ein Lächeln zustande.
»Es funktioniert!«, schrie er.
Eliane verstand kein Wort und schüttelte den Kopf.
»Das Uvorium. Seppuku hat sich geirrt. Man braucht nicht unbedingt den richtigen Schläger. Ein harter Schädel tut’s auch!«
Sie verstand, was er meinte, und lächelte ebenfalls.
Ebenso unvermittelt, wie der Ton entstanden war, brach er wieder ab.
»Was geschieht jetzt?«, flüsterte Eliane mit zitternder Stimme.
Jonathan wusste es nicht. Gespenstische Stille hatte sich über den Wald gelegt.
Bumm!
Bäume und Mauerwerk zitterten, als ein gewaltiger Stoß aus den Tiefen der Erde zu spüren war.
Bumm!
Staub rieselte aus dem Mauerwerk des Turms, und die ersten Männer ergriffen die Flucht. Ein kehliges Geräusch war zu hören.
»Was war das?«, flüsterte Eliane, die bleich wie ein Leinentuch wurde.
»Gumbold Blogarth«, raunte Jonathan. »Er ist wach!«
Im selben Augenblick erbebte der Boden unter ihren Füßen. Der Turm wankte. Eliane taumelte und fiel in Jonathans Arme. Gemeinsam kämpften sie sich zum Fenster vor, um zu sehen, was unter ihnen vor sich ging. Der Wald erzitterte wie unter Krämpfen, brachte Bäume zu Fall und riss alles, was auf zwei Beinen stand, zu Boden. Die Menschen stürzten um wie Dominosteine, kullerten auf- und übereinander und robbten auf allen vieren davon. Etwas schob sich aus der Tiefe empor und riss den Waldboden auf wie getrockneten Lehm. Mit einem Donnerschlag schoss eine Pranke aus schwarzem Stein hervor und rammte sich zwischen den Menschen in die Erde. Eine zweite folgte und eine dritte, vierte, fünfte … die Gestalt des Tyraners hatte keine Gemeinsamkeit mit irgendeinem lebenden Wesen. Seine Formen glichen einer riesigen Spinne oder einer missgestalteten Kröte aus schwarzem Fels. Missmutig kämpfte Gumbold sich aus seiner unterirdischen Ruhestätte hervor. Nur ein kleiner Teil des massigen Körpers war sichtbar, doch schon der sprengte jede menschliche Vorstellungskraft. Das alte Haus war kaum mehr als ein kunstvoll ausgehöhlter Buckel auf seinem Rücken und wurde zu Staub zerrieben, als Gumbold sich missmutig daran kratzte. All die Pracht, die kostbaren Kunstgegenstände, die Gemälde, die Wandteppiche, Statuen und Erinnerungen waren innerhalb von Sekunden zerstört.
Zum Glück war der Turm weit genug entfernt. Seine Mauern zitterten, blieben aber standhaft. Eliane klammerte sich an der Balustrade fest, ihr Gesicht immer noch schneeweiß. »Ein Troll, ein leibhaftiger Troll …«
Jonathan erspähte Cassius, der mit letzten Kräften Anweisungen brüllte und die Verletzten in Sicherheit bringen ließ. Seine Gefährten vom Großen Kreis schienen vorbereitet zu sein und begegneten der Urgewalt des Aschenriesen mit nervösem Respekt. Riots Männern dagegen stand die blanke Angst ins Gesicht geschrieben. Sie rannten um ihr Leben,
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