Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
flüchteten in die Wälder und liefen für immer davon. Kein Befehl vermochte sie noch eine Sekunde länger an diesem Ort zu halten.
Riot tobte. »Bleibt stehen, ihr Idioten! Kämpft! Das ist nur ein dummer Aschenriese …«
Er stellte sich ihnen in den Weg. Sie rannten über ihn hinweg wie eine Herde wilder Büffel. Jonathan sah seinen Arm, der mitgerissen wurde und schließlich unter trampelnden Füßen verschwand.
Wieder bebte die Erde. Gumbold Blogarth erhob sich aus der Tiefe und schüttelte träge den Staub aus seinem steinernen Leib. Er hinterließ einen Krater, so tief, dass das Licht darin versiegte. Sein Schädel glich einem spitzen Felsen, der von Furchen durchzogen war. Wenn man genau hinsah, konnte man winzige schwarze Augen darin erkennen, die funkelten wie dunkle Diamanten. Er brummte unwirsch. Es gefiel ihm nicht, so brutal aus dem Schlaf gerissen worden zu sein, und er suchte nach einem Schuldigen.
»Gumbold!«
In seinem Schatten stand die winzige Gestalt eines Menschen und wedelte mit den Armen. Jonathan traute seinen Augen nicht: Cornelius, der sonst jede Gefahr scheute, stand dem gewaltigen Aschenriesen furchtlos und entschlossen gegenüber.
»Gumbold!«, schrie er. »Hier bin ich, mein Freund. Hier unten!«
Der Tyraner wirbelte herum und senkte seinen tonnenschweren Schädel. Kleine schwarze Augen funkelten Cornelius an. Der zeigte auch jetzt keine Zeichen von Angst, im Gegenteil. Fast schien es so, als ob er sich über das Wiedersehen mit dem Monstrum freute.
»Ist lange her, dass wir gemeinsam durch die Schluchten des Feuers gewandert sind, was? Alt bin ich geworden, wie du siehst. Aber ich bin ein Mensch. Und du … du hast dich kein Stück verändert.«
Der Riese gab keinen Ton von sich. Niemand vermochte zu sagen, was in seinem steinernen Schädel vorging. Nur eines war sicher: Die Jahrzehnte des Schlafs hatten ihre Spuren hinterlassen.
»Du hast unseren Ruf gehört, und dafür danke ich dir«, fuhr Cornelius mit lauter Stimme fort. »Aber es gibt einen Grund, warum du wach bist. Wieder einmal musst du uns helfen. Ich weiß, du hast wenig Anlass, dem Kreis zu vertrauen. Ich hoffe nur, dass du mir vertraust.«
»Hör nicht auf das, was er sagt!«, schrie Aurora, die unvermittelt neben Cornelius auftauchte. Sie fühlte sich um ihren Sieg betrogen, und ihre Augen funkelten voller Hass. »Er hat dich aus dem Schlaf gerissen, weil er dich aus dieser Welt verjagen will.«
Der Tyraner schnaubte wütend, sodass Cornelius eine Wolke aus Staub ins Gesicht schlug. Beschwichtigend hob er die Hände.
»Es stimmt, alter Freund. Ich habe dich geweckt. Aber nicht, um dich zu vertreiben …«
»Er lügt!«, schrie Aurora. »Erinnere dich, welchem Herrn er dient! War es nicht der Große Kreis, der sich erst dein Vertrauen erschlich, ein Haus auf deinem Rücken errichtete und dich dann verriet? Sie erzählen es überall: Gumbold Blogarth ist ein Mörder.«
Ein Ruck ging durch den gewaltigen Körper, der die Erde erzittern ließ. Gumbold sprach nicht mit Worten, und doch war er gut zu verstehen. Seine wütenden Laute waren mehr als eindeutig.
Demütig ließ Cornelius sein Haupt sinken. »Es ist wahr, mein Freund. Sie haben schlimme Dinge über dich gesagt. Die Menschen haben Angst vor dir. Sie misstrauen allem, was ihnen fremd ist. Einige meiner Vorfahren nannten dich einen Mörder. Sie glaubten, dass du für den Tod von zwei Leuten aus dem Dorf verantwortlich warst. Deshalb hat der Große Kreis einen Beschluss gefasst und das Haus mit den umliegenden Wäldern zur verbotenen Zone erklärt. Es wurde aus den Karten und Köpfen der Menschen gelöscht. Sie ließen dich schlafen, und niemand durfte diesen Ort je wieder betreten.«
»Dein Ansehen auf dieser Welt war zerstört«, schrie Aurora. »Sie konnten dich nicht töten, also haben sie dir deine Würde genommen und jede Erinnerung an dich vernichtet.«
Gumbold Blogarth ließ einen dumpfen Schrei hören, der ebenso furchteinflößend wie verzweifelt war. Einer seiner verwinkelten Arme krachte wütend auf den Boden, und er warf seinen schroff gefurchten Schädel in den Nacken. Das Beben riss Cornelius von den Füßen. Er kämpfte sich wieder auf die Beine.
»Gumbold! Beruhige dich!«, flehte er.
Der Riese polterte gefährlich, ehe er wieder in sich zusammensank.
»Ich habe nie an dir gezweifelt, alter Freund. Ich wusste, dass du unschuldig bist. Du hast immer für das Gute gekämpft, du hast uns erlaubt, unseren Versammlungsort auf deinem
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