Jonathan Strange & Mr. Norrell
suchen. Sie dient keinem praktischen Zweck.«
»Oh, da täuschen Sie sich«, sagte Mr. Redmond. »Es gibt da diesen Gentleman in London, der die Franzosen verwirrt, indem er ihnen Trugbilder schickt. Ich habe seinen Namen vergessen. Wie nennt er gleich seine Theorie? Moderne Magie?«
»Aber worin unterscheidet sie sich von der altmodischen Art?«, fragte Mrs. Redmond. »Und welche werden Sie ausüben, Mr. Strange?«
»Ja, sagen Sie uns das bitte, Mr. Strange«, sagte Arabella mit einem spitzbübischen Blick.
»Ein bisschen von beiden, Miss Woodhope. Ein bisschen von beiden.« Dann wandte er sich Mrs. Redmond zu. »Von dem Mann unter der Hecke habe ich drei Zaubersprüche gekauft. Würden Sie gern einen sehen, Madam?«
»O ja, bitte.«
»Miss Woodhope?«, sagte Strange.
»Wozu sind sie gut?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sie noch nicht gelesen.« Jonathan Strange holte die drei Zaubersprüche, die Vinculus ihm verkauft hatte, aus seiner Brusttasche und reichte sie ihr.
»Sie sind sehr schmutzig«, sagte Arabella.
»Ach, uns Zauberern macht ein bisschen Schmutz nichts aus. Außerdem sind sie wohl sehr alt. Alte, geheimnisvolle Zaubersprüche wie diese sind oft...«
»Das Datum steht oben drauf, 2. Februar 1808. Das war vor zwei Wochen.«
»Wirklich? Das ist mir nicht aufgefallen.«
»Zwei Zaubersprüche, um einen widerspenstigen Mann zu bewegen, London zu verlassen« , las Arabella. »Ich frage mich, warum der Zauberer wohl wollte, dass die Leute London verlassen.«
»Ich weiß es nicht. In London leben auf jeden Fall zu viele Leute, aber es scheint viel Arbeit, sie einzeln wegzuschicken.«
»Aber sie sind schrecklich. Voller Gespenster und Abscheulichkeiten. Die Leute sollen glauben, dass sie ihre wahre Liebe treffen werden, wenn der Zauber in Wahrheit nichts dergleichen bewirkt.«
»Lassen Sie mich sehen.« Strange nahm ihr die anstößigen Zaubersprüche aus der Hand, überflog sie rasch und sagte: »Ich schwöre Ihnen, ich kannte ihren Inhalt nicht, als ich sie kaufte -überhaupt nicht. Der Mann, von dem ich sie kaufte, war ein mittelloser Vagabund. Mit dem Geld, das ich ihm gegeben habe, konnte er dem Arbeitshaus entkommen.«
»Nun, das freut mich. Aber seine Zaubersprüche sind trotzdem schrecklich, und ich hoffe, Sie werden sie nicht anwenden.«
»Aber was ist mit dem letzten Zauberspruch? Ein Zauberspruch, um herauszufinden, was mein Feind gerade tut . Dagegen können Sie doch sicherlich nichts einwenden? Lassen Sie es mich mit dem letzten Zauberspruch versuchen.«
»Aber wird das gehen? Sie haben doch keine Feinde, oder?«
»Nicht, dass ich wüsste. Deshalb kann es auch nicht schaden, wenn ich es versuche, nicht wahr?«
Die Anweisungen verlangten nach einem Spiegel und ein paar getrockneten Blumen 40 , deswegen nahmen Strange und Henry einen Spiegel von der Wand und legten ihn auf den Tisch. Die Blumen waren ein größeres Problem; es war Februar, und die einzigen Blüten, die Mrs. Redmond besaß, waren ein bisschen getrockneter Lavendel, Rosen und Thymian.
»Wird das reichen?«, fragte sie Strange.
Er zuckte die Achseln. »Wer weiß? Also ...« Er studierte noch einmal die Anweisungen. »Die Blumen müssen hier herumgelegt werden, so. Dann ziehe ich mit dem Finger einen Kreis auf dem Spiegel, so. Und teile den Kreis in vier Teile. Klopfe dreimal auf den Spiegel und spreche diese Worte ...«
»Strange«, sagte Henry Woodhope, »woher hast du diesen Unsinn?«
»Von dem Mann unter der Hecke. Henry, du hast mir nicht zugehört.«
»Und er wirkte ehrlich, oder?«
»Ehrlich? Nein, nicht sonderlich. Er wirkte, sagen wir, kalt. Ja, ›kalt‹ ist ein gutes Wort, um ihn zu beschreiben, und ›hungrig‹ ist ein anderes.«
»Und wie viel hast du für diese Zaubersprüche gezahlt?«
»Henry!«, sagte seine Schwester. »Hast du nicht gerade gehört, dass Mr. Strange sie in einem Akt der Wohltätigkeit gekauft hat?«
Strange zog geistesabwesend Kreise auf der Oberfläche des Spiegels und unterteilte sie in Viertel. Arabella, die neben ihm saß, gab plötzlich einen überraschten Laut von sich. Strange blickte in den Spiegel.
»Ach, du lieber Gott!«, rief er.
Im Spiegel war das Bild eines Zimmers zu sehen, aber es war nicht Mrs. Redmonds Wohnzimmer. Es war ein kleiner Raum, nicht extravagant, aber gediegen eingerichtet. Die Decke – die sehr hoch war – vermittelte die Vorstellung, dass es sich um ein kleines Zimmer in einem großen, vielleicht sehr großen vornehmen Haus handelte.
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