Jones, Diana Wynne
hätte irgendwie von ihrem Segelausflug erfahren.
Na, und wenn schon!, dachte Hildrida, während sie sich ein gutes Kleid anziehen und das windzerzauste schwarze Haar bürsten ließ. Ich werde mich sehr wütend stellen. Ich werde sagen, dass uns überhaupt nie etwas erlaubt wird. Ich sage, dass ich allein schuld bin. Irgendwie werde ich schon verhindern, dass er auch Ynen holen lässt. Und dann sage ich ihm, dass es doch gar keine Rolle spielt, ob wir ertrinken oder nicht. Er soll bloß nicht so tun, als würden wir irgendwem etwas bedeuten.
Die Hofdame, die Hildrida an der Hand durch die hohen Korridore zu Navis’ Räumen führte, gewann den Eindruck, Hildrida wisse bereits, was ihr blühte. Noch nie hatte sie das Kind so blass und so mühsam beherrscht erlebt. Die Hofdame war froh, nicht in Navis’ Schuhen zu stecken.
Navis wusste um das schwierige Naturell seiner Tochter. Er hatte in einem Buch Zuflucht gesucht. Als Hildy zu ihm hineingeführt wurde, saß er vor dem Fenster. Sein Profil hob sich vom Koog hinter der Glasscheibe ab, und seine Augen ruhten auf einem Lied aus der Feder Adons. Hildy war aufgebracht. Die Hofdamen versicherten ihr, dass Navis noch immer ihre tote Mutter betrauere, doch das konnte sie kaum glauben. Sie wusste keinen kühleren und trägeren Menschen als Navis.
»Hier bin ich«, sagte sie schneidend, um ihn ein wenig aufzurühren. »Und es tut mir nicht Leid.«
Navis zuckte leicht zusammen, behielt die Augen aber auf dem Buch. Wie die Hofdame nahm er an, dass Hildrida schon von ihrer Verlobung gehört hätte, und das erleichterte ihn ungemein. »Wenn es dir nicht Leid tut, dann freust du dich wohl darüber«, sagte er. »Wer immer es dir schon mitgeteilt hat, hat mir viel Mühe erspart. Du kannst nun gehen und damit prahlen, wenn du möchtest.«
Hildy erstaunte es sehr, dass sie nicht ausgeschimpft wurde. Gleichzeitig kam es ihr vor, als wolle ihr Vater wie immer nichts mit ihr zu tun haben, aber sie wollte mit ihm streiten. »Ich prahle nie«, entgegnete sie. »Aber das könnte ich. Schließlich haben wir sie nicht versenkt.«
Navis war so verblüfft, dass er den Blick vom Buch hob, es beiseite legte und Hildy erstaunt anschaute. »Wovon redest du da eigentlich?«
»Warum hast du mich rufen lassen?«, konterte Hildrida.
»Um dir zu sagen, dass du soeben dem Baron der Heiligen Inseln versprochen worden bist«, antwortete ihr Vater. »Was hast du denn geglaubt?«
» Versprochen?«, fragte Hildy. »Ohne mich zu fragen!« Die Neuigkeit schockierte sie, und einen Augenblick lang war der Segelausflug vergessen. »Warum sagt mir das keiner?«
Navis sah sich schutzlos einer Tochter gegenüber, die vor Wut schäumte; nicht einmal hinter dem Buch konnte er sich nun noch verstecken. »Ich sage es dir doch gerade«, erwiderte er und hob hastig das Buch wieder auf.
»Jetzt, wo es zu spät ist!«, rief Hildrida, bevor er sich wieder darin versenken konnte. »Wo alles schon geschehen ist. Du hättest mich fragen können, ob ich einverstanden bin, auch wenn ich dir nichts bedeute. Schließlich bin ich immer noch ein Mensch!«
»Das sind die meisten Leute«, sagte Navis und überflog mit gelinder Verzweiflung die Seite. Er wünschte, er hätte sich nicht ausgerechnet etwas von Adon ausgesucht. Adon schrieb nämlich Sätze wie: »Wahrheit ist ein Feuer, das den Donner herbeiruft«, was Navis großes Unbehagen einflößte, weil es ihm ganz nach einer Beschreibung Hildridas klang. »Und jetzt bist du sogar sehr bedeutend«, fügte er hinzu. »Durch dich sind wir nun mit Lithar verbündet.«
»Was für ein Mensch ist Lithar? Und wie alt ist er?«, verlangte Hildrida zu erfahren.
Navis fand die Stelle wieder, an der er gelesen hatte, und legte einen Finger darauf. »Ich bin ihm nur einmal begegnet.« Was sollte er sonst noch sagen? »Er ist noch jung – ungefähr zwanzig.«
»Jung…?« Hildy versagte fast die Stimme. »Ich lasse mich doch nicht mit so einem alten Mann verloben! Dafür bin ich zu jung. Und ich kenne ihn überhaupt nicht!«
Hastig hob Navis sein Buch vors Gesicht. »Mit der Zeit gibt sich beides.«
»Nein, das ist nicht wahr!«, brauste Hildy auf. »Und wenn du jetzt weiterliest, dann … dann haue ich dich und reiße das Buch in Stücke!«
Navis begriff, dass er härtere Saiten aufziehen musste, und legte das Buch wieder weg. »Nun hör mir gut zu, Hildy. So etwas passiert jedem in unserer Familie. Deine Base Harilla ist mit dem Baron von Mark verlobt, und… wie heißt
Weitere Kostenlose Bücher