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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
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sein gelbes Hosenbein leuchtete, und das rote loderte geradezu. Er durfte sich nicht darauf verlassen, dass die Kinder ihn deckten; vielleicht verrieten sie ihn aus Versehen, vielleicht auch absichtlich, weil er ihr Spiel störte. Jeden Augenblick konnte ein schrilles Stimmchen krähen: ›Da ist der, den du suchst, Herr!‹
    Während die Soldaten sich ihm näherten, wurde Mitt plötzlich klar, was er schon die ganze Zeit über tat. Er tat alles, um sich nicht fangen zu lassen. Und während ihn eine Welle purer Angst nach der anderen überfiel, begriff er, dass er mit seinen Fluchtversuchen weitermachen würde, solange er konnte. Als die Soldaten zu ihm aufgeschlossen hatten, war seine Angst übler als der schlimmste Schmerz, den er je empfunden hatte. Mitt hockte sich auf seine bunten Beine, kauerte sich zusammen, um so klein wie möglich zu wirken, streckte unter Aufbietung aller Willenskraft eine Hand vor, nahm eine Murmel und rollte sie beiläufig in die Mitte des Kreises. Bei jedem Zoll, den er sich bewegte, musste er seine Furcht niederkämpfen. Er glaubte, dass er sich weniger anstrengen müsste, um Siriols Boot über die Straße zu schieben. Die Mühe schwächte ihn.
    Kaum verließ die Murmel seine Hand, war er sicher, dass er nichts Dümmeres hätte tun können. Der Junge neben ihm schoss einen gehässigen Blick auf ihn ab. Die Stiefeltritte wurden langsamer, als hätte die Bewegung die Aufmerksamkeit der Soldaten erregt. Mitt verlor fast das Bewusstsein, so sehr fürchtete er sich. Übelkeit erregend langsam und verschwommen verstrich die Zeit.
    Die Stiefel stapften am ›Himmel-und-Hölle‹-Spiel vorbei, blieben stehen und gingen weiter, nun im Gleichschritt. Stapf, stapf, stapf, so hörten sie sich an, bis sie in der Ferne verklangen.
    »Mach ‘ne Mücke«, sagte der Junge. »Hast mir meine Glückssträhne vermasselt.«
    Mitt erhob sich wankend. Ihm schwindelte, und er war so verkrampft, als hätte er eine Winternacht durch gefischt. Er hinkte beim Gehen, und während er die Straße entlanghinkte, spielten die Kinder nicht weiter. Schlecht. Das war schlecht. Irgendjemandem würden sie von ihm erzählen. Mitt hoffte, dass sie sich damit Zeit ließen, denn er fühlte sich viel zu müde, um wieder zu rennen. Am liebsten hätte er sich im nächsten Hauseingang zusammengerollt und in den Schlaf geweint.
    Reiß dich zusammen!, dachte er wütend. Du bist auf der Flucht, das ist alles. In dieser Stadt ist ständig irgendjemand auf der Flucht. Ich weiß nicht, warum, aber aus einem unerfindlichen Grund muss ich einfach immer weiter fliehen. Was stimmt denn nur mit mir nicht? Auf diese Frage fand Mitt keine Antwort. Er wusste nur, dass er an diesem Morgen mit dem Vorsatz aufgestanden war, Hadd und die Freien Holander auf einen Streich zu erledigen, wie er es seit vier Jahren beabsichtigte. Und nun hatte er nicht nur dabei versagt, Hadd zu töten, sondern er konnte nur noch an eines denken: bloß nicht gefangen zu werden.
    Augenblick mal!, dachte Mitt. Er blieb stehen und gab vor, in einem Toreingang herumzulungern. Mit den Freien Holandern hatte er noch immer eine Rechnung offen. Wenn er zu viel Angst hatte, um sich freiwillig fangen zu lassen, konnte er doch einfach zu Siriol oder Dideo gehen. Wohin Mitt nun auch ging, Harchads Spitzel würden ihn finden. Auf diese Weise konnte er sehr gut dafür sorgen, dass die Freien Holander verhaftet wurden. Doch Mitt war stehen geblieben, lehnte sich nun an den Türpfosten und starrte ins Leere, weil diese Möglichkeit für ihn nicht infrage kam. »Kommt nicht infrage!«, sagte er laut. Ja, so war es. Überhaupt nicht dramatisch; Mitt konnte zwar nicht sagen, dass er lieber sterben würde, als zu Siriol zu gehen – er wusste schließlich, dass er alles lieber täte als zu sterben –, aber trotzdem würde er weder den Fischer aufsuchen noch Dideo. »Für was hältst du die Kerle denn?«, fragte er sich verächtlich. »Für deine Freunde etwa?«
    Ja, denn wie Freunde kamen sie ihm vor. Er dachte an die Freude auf Dideos Gesicht, als Mitt ihm das erste Päckchen Salpeter brachte, oder wie Siriol ihn mit dem Tauende in der Hand böse ansah; trotzdem hatte er Mitt nur ein einziges Mal damit geschlagen. Und dabei hatte er so manchen Grund, mich gehörig zu versohlen, dachte Mitt. Er hätte mit Fug und Recht mit mir ein mittelgroßes Loch in die Bordwand der Blume von Holand schlagen können, und das nicht nur einmal. Mitt ertappte sich bei einem matten Lächeln. Siriol hatte

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