Josef und Li: Roman (German Edition)
dabei das Herz blutete. Wie oft hatte ihm das Messer schon das Leben gerettet! Immer wenn es schon aussah, als würde Máchal vor Hunger sterben, fand sich schließlich etwas, was man damit abschneiden konnte. In besseren Fällen eine Salami oder ein Stück Brot, in schlechteren einen holzigen Kohlrabi oder ein steinhartes, gefrorenes Stück Talg, welches Frau Máchalová im Winter den Meisen ans Fenster hängte.
Dann legte Hnízdil ein altes Spielzeugauto auf das Pult. Es bedeutete ihm bestimmt mehr als irgendein blitzblankes, nagelneues Modell. Er besaß das Auto schon acht Jahre, also fast schon sein ganzes Leben. Und er hatte es noch nie verloren. Und wenn er es verlor, so hatte er es immer wiedergefunden.
Schließlich zog Šíša seinen Gürtel mit der Schnalle, die die Form einer indianischen Sonne hatte, aus der Hose. Als er ihn auf das Pult legte, musste er sich mit der anderen Hand die Hose festhalten, damit sie nicht herunterrutschte, und er verfluchte im Geist Helena Bajerová, die sie in eine solche Situation gebracht hatte.
»Finanzielle Nöte?«, sagte der Trödelhändler und betrachtete die auf dem Ladentisch angeordneten Gegenstände. Die Jungs nickten wortlos. Dann nahm der Trödler die Lupe zur Hand und fing an, die Sachen genauestens zu begutachten, als ob er prüfen wollte, ob es sich um wirkliche Schätze oder nur um billige Imitate handelte. Er kam zum Schluss, dass es doch wahre Schätze seien, weil er den Jungs ohne etwas zu sagen je ein Zwanzig-Kronen-Stück bar auf die Hand gab.
Die Jungs waren erleichtert, endlich aus dem düsteren Laden draußen zu sein. Sie hatten sich dort nicht gerade wohl gefühlt. Sie konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, der etwas bucklige Alte mit den blinzelnden Augen würde sie heimlich auslachen. Ganz so, als ob er, nachdem er ihre Sachen sorgfältig untersucht hatte, mehr über die Jungs wusste als sie selbst. Um dieses unangenehme Gefühl loszuwerden, liefen die Jungs schnell zu Josef. Sie wollten ihm so bald wie möglich das Geld zurückgeben, damit niemand sagen konnte – oder auch nur denken! –, sie wären Diebe.
Doch Josef verstand überhaupt nichts, als die Jungs vor ihm standen und das Geld zückten. Erst als sie ihm erklärten, dass dies ein Teil der Rückzahlung ihrer Beute wäre, winkte er verächtlich ab und sagte, das sei völlig umsonst gewesen, denn er habe sich das Geld schon längst selbst zurückgeholt. Und sie sollten sich das nächste Mal einen besseren Tresor suchen! Die Jungs standen eine Weile wie angewurzelt da – dabei hatten sie doch ihre größten Schätze geopfert!
Da war aber Josef schon weg. Frau Nguyen schickte Li auf den Markt an der Bahnstrecke zum Einkaufen und Josef begleitete sie. Nach längerer Zeit schien die Sonne wieder und obwohl das Thermometer gerade einmal fünf Grad über null anzeigte und nirgends in der Umgebung Palmen wuchsen, kam sich Josef wie in einer fernen asiatischen Stadt vor.
Fast jeder Stand war von vietnamesischen Verkäuferinnen besetzt und Li unterhielt sich auf Vietnamesisch mit ihnen. Josef verstand kein Wort. Er hielt nur den Korb fest, in den Li nach und nach Kraut, Lauch, Zwiebeln, Kohl, Knoblauch, Zitronen und Bananen legte, und er versuchte zu erraten, worüber sie mit den Frauen sprach.
Wenn es ihm jemand übersetzt hätte, so wäre er bestimmt enttäuscht gewesen. Li unterhielt sich mit Frau Anh Tuan und Frau Thi Thuy überhaupt nicht über ihn und auch nicht darüber, wie sie sich kennengelernt hatten und wie sie zunächst dachte, er wäre ein kleiner Feigling und ein Trottel, und wie sie sich dann im Geist bei ihm hatte entschuldigen müssen, weil sie im Gegenteil feststellte, dass er furchtbar mutig, schlau und weiß der Teufel noch was sei. In Wirklichkeit redete Li
über Bambussprossen, die leider nicht geliefert wurden, obwohl sie Frau Anh Tuan schon vorgestern bestellt hatte, dafür aber gab es bei Frau Thi Thuy frischen Ingwer und Austernpilze im Angebot.
Fast am Ende des Marktes hatte Tuong seinen Stand. Er verkaufte rosa Kleidung, Plüschhündchen, die auf Kommando I love you I love you bellten, und Kissen in Herzchenform.
Als Josef und Li an ihm vorbeigingen, lächelte er und sagte zu Li etwas auf Vietnamesisch. Diesmal war es aber schade, dass Josef kein Wörterbuch bei sich hatte. Vielleicht wäre er dann genauso verlegen gewesen wie Li.
Tuong hatte sie nämlich gefragt, wer der fesche junge Mann an ihrer Seite sei – wortwörtlich sagte er: schönes Männchen
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