Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
doch gibt es eine Antwort. Einer hat die Antwort gefunden, vor ein paar hundert Jahren, und sie können ihn nicht leiden um dieser Antwort willen, und um dieser Antwort willen haben sie sein Buch nicht aufnehmen wollen in den Kanon der Heiligen Schrift. Seine Antwort heißt nicht: Kaschja. Seine Antwort ist klar und bestimmt, es ist die richtige Antwort. Immer wenn Josef wirklich aufgerührt wird, dann stößt er in seinen Tiefen auf die Antwort dieses alten Weisen, des Predigers, des Kohelet, sie hat sich in seine Tiefen gesenkt, und da ist sie nun, und es ist die rechte Antwort.
»Ich habe erkannt, daß alles, was Gott macht, so bleibt in Ewigkeit. Nichts kann man hinzutun, und nichts kann man davon wegnehmen. Was ist, ist längst gewesen, und was noch sein wird, ist längst gewesen. Und weiter sah ich, wie es unter der Sonne zugeht: wo Milde sein sollte, war Bosheit, und wo Gerechtigkeit sein sollte, Unrecht. Da dachte ich in meinem Herzen, das ist von Gott der Menschen wegen so eingerichtet, damit sie einsehen, daß sie nicht mehr wert sind als das Vieh. Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh, und sie haben ein Geschick. Wie dieses stirbt, so stirbt jener. Einen Odem haben sie, und der Vorzug des Menschen vor dem Vieh ist ein Nichts, und alles ist eitel. An einen Ort geht alles: aus Staub ist es geworden, und es kehrt zurück in den Staub. Wer will wissen, ob der Geist des Menschen in den Himmel steigt und der des Viehs in die Tiefen der Erde?«
So hatte auch er selber gespürt, so war’s aus seinen eigenen Tiefen heraufgestiegen, mit der gleichen Gewißheit, wie es seinerzeit dem Kohelet heraufgestiegen sein mochte, so hatte er’s gewußt, damals, als er an der Leiche seines Sohnes SimeonJaniki gesessen war. Und dann, später, hatte er’s nicht mehr wissen wollen und hatte sich dagegen empört und hatte es vergessen. Jetzt aber hat ihn Jahve ein zweites Mal daran erinnert, hart, höhnisch, grimmig, und ihn gezüchtigt, ihn, den schlechten Schüler. Jetzt kann er sich’s einschreiben in sein Herz, muß er sich’s einschreiben, zehnmal, zwanzigmal, wie es der große Lehrer ihm befiehlt. »Alles ist eitel, alles ist Haschen nach Wind.« Schreib dir’s ein, Josef Ben Matthias, schreib’s mit deinem Blut, zehnmal, zwanzigmal, du, der du es nicht hast wahrhaben wollen, du, der du den Kohelet hast verbessern wollen. Da bist du hergegangen und hast danach getrachtet, den alten Weisen zu widerlegen durch deine Taten und durch deine Werke, durch deinen »Jüdischen Krieg« und deine Universalgeschichte und deinen »Apion«. Und hier hockst du nun, hier auf dem Schiff, das über das nächtige Meer fährt im schnellen Wind, und alles, was du noch besitzest, trägst du mit dir: deinen toten Sohn. Wind, Wind, Haschen nach Wind!
Der schmale Mond war höher gestiegen, ein kleiner, blasser Glanz ging aus von dem magern, geschminkten Gesicht des Matthias.
Und was soll er Mara sagen, wenn er jetzt ein zweites Mal vor sie hintreten muß und ihr verkünden: Der Sohn, den du mir anvertraut hast, ist tot?
Leise, den Mund kaum öffnend, in den Nachtwind hinein, klagte er: »Wehe über meinen Sohn Matthias, meinen gesegneten, meinen geschlagenen, meinen Lieblingssohn! Ein großer Glanz war um meinen Sohn, und er war wohlgefällig vor allen Menschen, und alle Menschen liebten ihn, die Heiden und die Auserwählten. Ich aber habe ihn erfüllt mit Eitelkeit, und am Ende habe ich ihn umgebracht aus Eitelkeit. Wehe, wehe über mich und über dich, mein schöner, lieber, guter, glänzender, gesegneter, geschlagener Sohn Matthias! Ich habe dir einen prunkenden Mantel gegeben wie Jakob dem Josef, und ich habe dich ins Unheil geschickt wie Jakob seinen Sohn Josef, an dem er hing mit zu großer, äffischer, eitler Liebe. Wehe, wehe über mich und über dich, mein lieber Sohn!«
Und er dachte an die Verse, die er geschrieben hatte, an den Psalm des Weltbürgers und den Psalm vom Ich und an den Psalm vom Glasbläser und an den Psalm vom Mut. Und seine Verse schienen ihm leer, und sinnvoll schien ihm nur eines, die Weisheit des Kohelet.
Aber was nützte ihm diese Erkenntnis? Nichts nützte sie ihm, sein Schmerz wurde nicht geringer davon. Und er heulte hinaus in den Wind, und sein Heulen übertönte den Wind.
Den Offizieren, den Matrosen und den Ruderern war der Mann unheimlich, der da seine Leiche übers Meer fuhr. Es war ein widerwärtiges Geschäft, das ihnen der Kaiser aufgetragen hatte. Sie
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