Joshua Schreck: Fischer. Nur für Jungs (German Edition)
Teller. Dad fummelte mit seinem Besteck herum. Ich sah, wie meine Eltern an der Frage zu knabbern hatten, aber ich bohrte dennoch weiter.
»Was wäre gewesen, wenn Captain Saubermann gestern nicht aufgekreuzt wäre?«, fragte ich. »Hattet ihr wirklich vor, die Erde zu fluten?«
»Die Regierung war kurz davor, auf unsere Forderungen einzugehen«, antwortete Dad. »Wenn wir nur ein bisschen mehr Zeit gehabt hätten …«
Seine Stimme verlor sich in Schweigen. Egal, wie sie es zu erklären versuchten, meine Eltern kannten die Wahrheit. Wenn sie es tatsächlich schafften, würde der Rest der Welt richtig zu leiden haben.
»Wir verstehen, dass das schwierig für dich ist, Joshua«, sagte Mom. »Aber lass es erst mal ein bisschen sacken. Wenn du dich danach entschließt, einen anderen Weg einzuschlagen, dann … dann ist das deine Entscheidung. Wir wollen dir nur helfen, eine überlegte Wahl zu treffen.«
»Deshalb wollten wir, dass du das Buch da bekommst.« Dad deutete auf das Handbuch für BEGNADETE Kinder .
»Und deshalb wollen wir auch, dass du morgen mit uns zur Schandmesse kommst«, ergänzte Mom.
Die Schandmesse war eine Art große Superschurken-Tagung, die jedes Jahr in New York stattfand. Meine Eltern gingen da immer allein hin, doch nun baten sie mich zum ersten Mal, mitzukommen.
»Weiß nicht«, sagte ich. »Ist irgendwie nicht so mein Ding.«
»Woher willst du das wissen, wenn du noch nie da gewesen bist?«, gab meine Mutter zu bedenken.
»Die meisten Leute haben eine völlig beschränkte Vorstellung davon, was ein Superschurke ist«, fuhr Dad fort. »Es gehört so viel mehr dazu als Verkleidungen und detaillierte Pläne zur Weltherrschaft. Es ist ein sehr vielseitiger Beruf. Und es wäre einfach nicht richtig, wenn du eine Zukunft als Superschurke ausschlagen würdest, ohne zu wissen, worum es in unserem Geschäft eigentlich geht, versteht du?«
»Sieh es als Lernerfahrung«, fügte Mom noch hinzu.
Mir gefiel das Wort nicht. Lernerfahrungen waren meist langweilige Erfahrungen.
»Aber wenn du partout nicht willst«, sagte Mom, »kannst du natürlich gern zu Hause bleiben und auf Micus aufpassen, während wir weg sind.«
Als ich nochmal darüber nachdachte, kam ich zu dem Ergebnis, dass die Schandmesse vielleicht doch keine so schlechte Idee war.
7
Du wirst feststellen, wie dein Körper seltsame und überraschende Entwicklungen durchmacht. Du erlebst Wachstumsschübe, deine Stimme verändert sich. Du bemerkst plötzlich Superkräfte, wo es früher nie Superkräfte gab. Dies alles gehört zu der Erfahrung, begnadet zu sein, und bedeutet, dass sich in dir eine Biologisch Elementare Genetische Neuorientierung Als Daseinsform Exzeptioneller Tatkraft vollzieht.
Ich beobachtete, wie die Bäume und Stromleitungen an der Scheibe des Volvo meiner Eltern vorbeizogen. Es dauerte zwei Stunden von Sheepsdale nach Manhattan, so dass ich genug Zeit hatte, das Handbuch für BEGNADETE Kinder zu lesen.
Vieles in dem Buch war ziemlicher Schwachsinn, und ein paar Kapitel (»Ferienlager für Superhelden«, »Mein Mutant und ich«) konnte man gleich überspringen. Doch es gab auch eine Menge Informationen, die mich echt weiterbrachten. Zum Beispiel ein ganzes Kapitel mit Entscheidungshilfen zu der Frage, ob man lieber ein Superheld oder ein Superschurke werden will. Oder Tipps, wie man seine Superkräfte kontrolliert. Oder Porträts der wichtigsten Gestalten aus der Super-Szene, zum Beispiel von Captain Saubermann, von Scarlett Flamme und sogar von meinen Eltern.
Ich fand, wenn ich nun schon diese komische Superkraft besaß, sollte ich zumindest ein bisschen Bescheid wissen, was das hieß und wie ich sie anwenden konnte.
Als wir auf New York zufuhren, beobachtete ich, wie allmählich die ersten hohen Gebäude am Horizont auftauchten und in der morgendlichen Sonne schimmerten. Sobald wir die Stadt erreichten, wurde der Verkehr immer chaotischer. Ich rutschte nach vorn und zur Seite, wenn Dad unseren Kombi zwischen den Massen drängelnder Taxis hindurch über volle Kreuzungen lenkte. Schließlich hielten wir an.
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte ich. Ein riesiges Lagerhaus ragte vor meinem Seitenfenster auf. Die stählernen Wände waren braun von Rost und mit Graffiti beschmiert. Die Fenster waren eingeschlagen. Das ganze Gebäude wirkte, als ob es jeden Moment in sich zusammenfallen würde.
»Sie müssen ja einen Ort wählen, der nicht zu auffällig ist«, sagte Mom. »Sonst könnten
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