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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Tagesdecke zugedeckt. Alles sah friedlich aus.
    Wilson atmete langsam aus, stellte die Tüte ab und zog den Mantel samt Sakko aus. Damit kam er schnell an die Pistolen, die er in Achsel- und Rückenholster trug. Er riss das braune Papier auf, nahm sich den Kakao heraus, der inzwischen kalt geworden war, setzte sich in den Ecksessel. Von hier aus hatte er Bett und Eingang im Blick. Jetzt musste er ungeduldig warten, bis das Mädchen wach geworden war. Er konnte sie nicht ewig im Zwangsschlaf halten.
    Black nimmt es mir sicherlich übel, dass ich einen ihrer Leute außer Gefecht gesetzt habe.
Wilson angelte den Löffel raus und warf ihn in den Mülleimer.
Selbst schuld. Ich habe ihr gesagt, dass ich alleine arbeite.
    Lange würden er und Elena sich nicht mehr in der Pension aufhalten können. Und je länger er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm der Gedanke, die Reise per Zug fortzusetzen. Er würde herausfinden, ob es einen Nachtzug gab, mit dem er und seine »Tochter« Berlin verlassen konnten.
    Eine halbe Stunde später schlug Elena die Augen auf, sah sich um und versuchte, die Umgebung einzuordnen. Ein sensibler Moment. Wilson sah, dass sie verwundert war und das Gefühl in Panik abzurutschen drohte.
    »Hallo, Elena«, sagte er aus der Ecke heraus. »Na, genug geschlafen?«
    Sie nickte und setzte sich auf, rieb die Augen. »Wo sind wir?«
    »Unterwegs.« Wilson zeigte auf die aufgerissene Tüte. »Da drüben gibt es Frühstück. Alles dabei, von süß bis herzhaft. Und in der Sporttasche habe ich Kleider für dich. Es ist deine Größe.«
    Elena schwang die Beine vom Bett und ließ sie baumeln, betrachtete ihn. »Normalerweise schlafe ich nicht so lange.«
    »Das war die Aufregung, Kleines. Du hast viel zu verarbeiten. Schlaf ist dazu bestens geeignet.«
    Sie rutschte von der Matratze und schlurfte ins Bad. »Muss aufs Klo«, murmelte sie und knallte die Tür zu. »Wo sind wir denn, Jeoffray?«, rief sie laut. Es plätscherte. »Hier steht Berlin auf dem Schildchen an der Wand.«
    Die Kinder lernen viel zu früh lesen.
»Äh … ja. Das stimmt. Wir sind in Berlin.«
    »Und was machen wir hier?« Die Spülung rauschte, Sekunden danach kam sie raus und wischte ihre Hände am Bademantel trocken. Hotelseifenduft verbreitete sich im Raum. »Hast du mich entführt?«
    »Nein, Elena. Wir bleiben in Bewegung, damit uns die Leute, die uns in Leipzig aufgelauert haben, nicht erwischen. Ich habe deine Mutter angerufen …«
    »Meine Mutter liegt im Koma.« Elena setzte sich auf den Stuhl und wählte ein Brötchen mit Käse und Schinken, dazu schlürfte sie ihren Kakao.
    »Deine Tante«, verbesserte er sich. »Wir werden uns bald mit ihr treffen. Sie hat gesagt, dass sie noch etwas unternehmen muss.«
    »Aha.« Sie kaute nachdenklich. »Woher weißt du, wer meine Tante und meine Mutter sind?«
    Ihm wurde heiß. »Du redest im Schlaf. Dadurch hast du mir viele Informationen gegeben.« Wilson war froh, dass ihm noch etwas eingefallen war.
    Elena betrachtete ihn und schlug die Zähne mit einer sehr nachdrücklichen Bewegung in die Kruste, was ihn an ein Raubtier erinnerte. Die Eckzähne des Mädchens waren deutlich ausgeprägt, kräftig und spitz. Sie würden ohne viel Anstrengung durch Menschenhaut fahren.
Eine angehende Judastochter,
zuckte es durch seinen Verstand.
    Sie langte nach einem Donut mit Schokoladenguss. »Der Mann, den du in Leipzig erschossen hast«, sagte sie beiläufig und schwenkte den Gebäckkringel hin und her, um danach durch das Loch zu schauen, »hast du nach seinen Wunden gesehen?«
    »Nein«, antwortete er verwundert. »Dazu hatte ich keine Zeit.«
    Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet. »Ich schon. Aus den Löchern ist ganz feiner Rauch gekommen. Tante Sia hat mir mal erklärt, dass man Wandelwesen mit Silber erschießen kann, weil sich ihre Wunden dann nicht mehr schließen und von selbst heilen können.« Sie schwenkte den Arm, das Donutloch zielte auf den Achselholster. »Wieso hast du Silberkugeln geladen?«
    Wilson musste die Augenbrauen heben, es ging einfach nicht anders. »Was für ein kluges kleines Fräulein du bist.«
    »Wir flüchten vor Wandlern, und du weißt, wie man sie tötet. Ich glaube nicht, dass das alles Zufall ist. Was wollen die Wandler von mir? Oder sind sie wegen Tante Sia hinter mir her?« Elena biss einmal ab. »Und warum hast du mich verfolgt? Hat dich meine Tante geschickt und du musst so tun, als wüsstest du von nichts? Fahren wir in ihrem Auftrag durch die

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