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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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dass sich nichts verklemmte, verkeilte oder verhedderte. Die Batterie des Dialysegeräts hielt knappe dreißig Minuten – es würde genau reichen.
    Sehr langsam rollten sie den Gang hinunter zum Fahrstuhl.
    Sie hatten die Hälfte geschafft, als eine rote Lampe schräg vor ihnen über Zimmer 231 aufleuchtete: Einer der Patienten hatte den Rufknopf gedrückt und erwartete rasch Hilfe.
    Hildegard wusste sofort, um was es ging. »Darf ich nachsehen? Die Frau hat eine frische Narbe, und …«
    »Weiter«, befahl Maria.
    »Aber wenn die Nähte gerissen sind oder es zu Blutungen gekommen ist?« Hildegard fühlte sich entsetzlich entmündigt. Nicht eine Entscheidung wurde ihr gegönnt, nicht mal im Angesicht eines möglichen Todes im Zimmer nebenan. Die Berufsehre, das Gefühl, helfen zu müssen, rang mit dem Selbstschutz.
    Der Entführungszug rollte langsam weiter, an der roten Lampe vorbei.
    »Denken Sie nicht mal daran«, flüsterte Maria.
    »Bitte, lassen Sie mich wenigstens nachschauen, was mit der Patientin ist?«
    »Tut mir leid. Für Sie und die Kranke.«
    Stumm gingen sie am Zimmer vorbei, wo die Lampe anklagend brannte.
    Für Hildegard schien sie hell und heller zu brennen. Sie dachte an ihren Mann, ihre zwei Kinder, an den kranken Hund und die vielen anderen Patienten auf der Station. Sie schloss die Augen und unterdrückte die Wut, die sie gegen ihre Entführer empfand, und wünschte ihnen alle Krankheiten, die es gab, an den Hals.
    Noch eine rote Lampe flackerte auf, keine zwei Meter von ihnen entfernt. Die Gewissensfolter ging weiter.
    »Je schneller wir raus sind, desto eher können Sie nach den armen Schweinen schauen, okay?« Maria ging voraus zu den Fahrstühlen, steckte einen Schlüssel in die Bedienkonsole für eine Prioritätsfahrt. »Gleich haben Sie es geschafft.«
    Der Fahrstuhl kam, wie die aufleuchtenden Ziffern verrieten.
    Hildegard sah auf die Anzeigen des Dialysegeräts, das seine Aufgabe noch einwandfrei erledigte. Der Batteriestatus bereitete ihr keine Sorgen. In zwanzig Minuten war die Prozedur beendet, und für Karkow wäre der Transport, den die Entführer beabsichtigten, ungefährlicher. »Sie müssen dafür sorgen, dass die Patientin die Dialyse in regelmäßigen Abständen erhält …«
    Der Lift erreichte ihre Station und hielt.
    »Glauben Sie mir: Wir kümmern uns um alles«, sagte die Brünette. Die Türen öffneten sich hinter ihr.
    »Wir …« Es knallte zweimal, und in Marias Oberkörper explodierten zwei rote Punkte.
    Hildegard hatte zuerst nicht verstanden, was vor sich gegangen war, aber die Reaktionen der beiden falschen Pfleger sagten ihr alles. Die Männer wirbelten herum, langten unter ihre weißen Kitteljacken und holten Schnellfeuerpistolen darunter hervor. Ohne zu zögern, eröffneten sie das Feuer, während Maria mit einem Seufzen zusammenbrach.
    In der Kabine standen zwei Männer mit Sturmgewehren, die ebenfalls schossen. Sie trugen Strumpfhosenmasken und kugelsichere Westen, die sie vor den tödlichsten Kugeln der beiden Entführer schützten. Einer wurde in den Arm getroffen, das Blut sprühte gegen die verspiegelte Wand, aber der Maskierte ließ den Finger auf dem Abzug.
    »Nicht! Nicht die Maschine!« Hildegard wedelte mit den Armen und zeigte auf das Dialysegerät. Um sie herum sirrten die Geschosse, sie bekam einen Schlag gegen die Hand. Zuerst dachte sie, sie hätte sich gestoßen, aber der nachfolgende Schmerz brachte sie zum Aufschreien.
    Hildegard sah auf ihre Linke, an der es Mittel- und Ringfinger weggefetzt hatte, und das Rot sprudelte aus dem Loch.
    Sie fühlte, wie ihr Kreislauf absackte und der Schock sich in ihr ausbreitete. Die Knie gaben nach, sie brach neben Karkows Bett zusammen und hockte schreiend auf dem Boden; um sie fielen rauchende Patronenhülsen nieder.
    Hildegard sah, wie einige Türen auf der Station aufflogen. Zwei, drei Patienten schickten sich an nachzusehen, was sich filmreif auf dem Flur abspielte.
    »Weg!«, schluchzte sie durch das Dröhnen des Schusswechsels. »Polizei! Rufen Sie die Polizei!« Ein Projektil streifte schmerzhaft ihre Schulter, sie schrie auf und machte sich noch kleiner.
    Neben ihr fiel einer der falschen Pfleger auf den Boden, er röchelte noch einmal auf und lag still. Ein lauter Schrei erklang aus der Kabine, ein Körper fiel, gleich darauf krachte auch der zweite tot nieder. Das Entführerteam war ausgeschaltet.
    Hildegard wimmerte und schaffte es nicht mehr, einen klaren Gedanken zu fassen. Inzwischen war

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