Judith
hinuntergefallen sein«, berichtete Stephen, der sich zu Judith niederbeugte.
Gavin blickte hoch und erkannte Lilian oben an der Treppe. Sie hielt ihren Mantel über der Brust zusammen und lächelte. Erahnte, daß irgend etwas in dem Puzzle seiner Gedanken fehlte. Aber ihm blieb jetzt keine Zeit, darüber nachzugrübeln.
»Man hat schon nach dem Doktor geschickt«, murmelte Stephen und faßte nach Judiths Hand. Sie hielt die Augen noch immer geschlossen.
Der Doktor kam gemächlich heran. Er trug einen reich mit Pelz verbrämten Mantel. »Macht Platz«, befahl er. »Ich muß sie untersuchen und sehen, ob sie sich etwas gebrochen hat. «
Gavin wich zurück, und dann beobachtete er mit brennenden Augen, wie der Doktor Judiths reglosen Körper abtastete.
Warum gerade Judith? Wie konnte das geschehen? Wie ein Mühlstein drehten sich diese Fragen in seinem Kopf. Was hatte Judith mitten in der Nacht auf der Treppe gesucht?
Sein Blick ging zu Lilian hinauf. Alles Blut wich aus seinem Gesicht. Judith hatte ihn mit Lilian gesehen! Sie war so aufgeregt gewesen, daß sie auf der Treppe gestürzt war! Aber wer hatte ihr gesagt, wo er war?
»Scheint nichts gebrochen zu sein«, sagte der Doktor. »Bringt sie ins Bett. Sie braucht Ruhe! «
Gavin schickte ein Dankgebet zum Himmel. Dann beugte er sich nieder und hob Judith auf. Die anderen Leute starrten ihn entsetzt an. Sie sahen, was Gavin nicht sehen konnte. Judiths Kleid war blutgetränkt.
»Eine Fehlgeburt«, sagte Königin Elizabeth dicht neben ihm. »Bringt sie nach oben. Ich lasse meine Hebamme holen. «
Gavin war starr vor Schreck. Er spürte, wie sich eine Hand beruhigend auf seine Schulter legte und wußte, daß es Stephen war.
Joan schrie auf, als er Judith ins Zimmer brachte. Sie wurde schreckensbleich. »O mein Gott. Wird sie sterben? «
»Wir wissen es nicht«, brummte Stephen.
Gavin legte Judith vorsichtig auf das Bett. Die Königin beugte sich über die noch immer Ohnmächtige. Dann befahl sie Joan: »Hole heißes Wasser und saubere Tücher. Dann laß nach Lady Helen schicken. Sie wird in dieser Stunde bei ihrer Tochter sein wollen. « »Meine arme Herrin«, flüsterte Joan. »Sie hat sich dieses Kind so gewünscht. « Mit Tränen in den Augen hastete sie aus dem Raum.
»Geht jetzt«, befahl Elizabeth den beiden Männern. »Wir kümmern uns um sie. «
Doch Gavin rührte sich nicht. »Ich bleibe, Eurer Majestät. Wenn ich heute nacht bei ihr gewesen wäre, hätte das nicht geschehen können. «
Stephen wollte etwas erwidern. Doch dann drehte er sich um und ging hinaus. Gavin streichelte Judiths Stirn. Dann sah er die Königin an. »Sagt mir, was ich tun kann. «
Eine dicke Frau kam ins Zimmer geschnauft. Sie wollte Gavin sofort hinausschicken, aber die Königin verhinderte das. Die Hebamme machte sich an die Arbeit. Immer wieder gab sie den anderen Anweisungen.
»Sie muß warmgehalten werden. Deckt sie gut zu. «
Gavin tupfte Judith den Schweiß von der Stirn. Er ließ keinen Blick von ihr. »Wird sie wieder gesund? « fragte er.
»Kann ich noch nicht sagen. Hängt davon ab, ob wir die Blutung zum Stillstand bringen können. «
Judith stöhnte und bewegte den Kopf. »Beruhigt sie, oder sie macht uns alles nur schwerer. «
»Ganz ruhig«, murmelte Gavin und beugte sich über sie. Er hielt ihre Hände fest, die hin und her zuckten. Mühsam öffnete sie die Augen. »Gavin? «
»Streng dich nicht so an. Bleib ganz ruhig. Du wirst andere Kinder bekommen… «
»Was sagst du? « Ein heftiger Schmerz fuhr durch ihren Körper. Ihre Finger krampten sich um Gavins Hände. Verstört sah sie ihn an. »Was ist passiert? « keuchte sie. Dann verschleierte der Schmerz ihren Blick.
»Ihr müßt ihren Leib kneten«, befahl die Hebamme Joan und der Königin.
»Gavin! « wimmerte Judith. Wieder fuhr eine Schmerzwelle durch sie. »Was ist mit meinem Kind? Ich will mein Kind nicht verlieren! « Ihre Stimme wurde hysterisch.
Ihr Blick richtete sich auf Gavin, und die Erinnerung schien zurückzukehren. »Ich bin die Treppe hinuntergestürzt«, sagte sie. »Ich habe dich mit dieser Hure im Bett liegen sehen. Und dann bin ich gestürzt… «
»Judith, laß uns später darüber reden… «
»Geh! Rühr mich nicht an! «
»Judith! « flehte Gavin.
»Du bist wohl traurig, daß ich nicht tot bin? Tot wie mein Baby… « Tränen verdunkelten ihre Augen. »Geh zu ihr. Du willst sie doch, und sie wartet auf dich! «
»Judith.. «
Die Königin faßte nach Gavins Arm.
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