Julia Ärzte zum Verlieben Band 54
liebevollen Familie gewesen – mit dem Gefühl, wirklich gut aufgehoben und geliebt zu sein. Jahrelang hatte sie sich weisgemacht, dass ihre Karriere und die wenigen Freunde – Kim, Richard – ausreichten. Dass sie einen Partner und eigene Kinder nie vermissen würde.
Plötzlich und mit Schrecken merkte sie, dass dies nicht mehr stimmte. In diesem Augenblick wollte sie nichts lieber, als ein Teil von Pierres Leben zu sein.
Als Julie erwachte, hörte sie Vogelgezwitscher und französische Stimmen, die sich unterhielten. Sie sah auf die Uhr und erschrak: Es war zehn Uhr morgens! So lange schlafe ich nie!
Sie sprang aus dem Bett und unter die Dusche. Danach flocht sie ihre Haare zu einem Zopf und sah sich im Spiegel an. Ihr fiel mit Staunen auf, dass sie zum ersten Mal seit dem Unfall nicht daran gedacht hatte, ihre Narbe zu verstecken.
Mit den zusammengebundenen Haaren und ganz ohne Make-up war ihr Makel für alle Menschen deutlich zu sehen. Sie schaute genauer hin. Ist sie schwächer geworden? Verblasst sie langsam?
Vielleicht, dachte sie, aber tief in ihrem Inneren ahnte sie, dass sich etwas Fundamentales änderte, Schritt für Schritt. Die Narbe war ihr nicht mehr so wichtig. Schön war sie immer noch nicht, aber das war ihr jetzt fast egal.
Habe ich wirklich die Narbe benutzt, um mich vor dem Leben zu verstecken? Dann ist das jetzt vorbei!
Sie suchte im Erdgeschoss nach den anderen, ehe sie in der Küche auf Michelle traf. Die hübsche junge Frau war bis zu den Ellenbogen mit Mehl bestäubt.
„ Bonjour , Julie!“, rief sie gut gelaunt. „Hast du gut geschlafen? Hier ist Café au lait , und frisches Brot und Marmelade zum Frühstück. Bitte bedien dich.“
„ Merci “, bedankte Julie sich bei Michelle. Sie nahm sich eine Scheibe des herrlich duftenden Brotes und bestrich sie dick mit Butter und Feigenmarmelade.
„Es tut mir leid, dass ich verschlafen habe – ihr hättet mich wecken sollen.“
„Pierre hat darauf bestanden, dass wir dich schlafen lassen. Er hat gesagt, du hättest sehr hart gearbeitet und bräuchtest jetzt deine Ruhe.“
In dem Moment betrat Pierre die Küche. Er trug ein Paar verblichene Jeans und einen dünnen Pullover. Er hatte sich nicht rasiert, und auf seinen Wangen lag der dunkle Schimmer eines Stoppelbartes.
Er sah völlig entspannt und, wie sich Julie mit klopfendem Herzen eingestand, unglaublich attraktiv aus.
„ Bon matin “, begrüßte er sie, während er sich einen Kaffee einschenkte.
„Guten Morgen, Pierre. Wo steckt denn Caroline? Ist sie schon wach?“
„Nein, die ist noch im Bett. Die sehen wir kaum vor dem Mittag. Ich könnte dich in der Zwischenzeit ein wenig herumführen.“
Julie trank rasch ihren Kaffee aus. „Das wäre sehr nett“, sagte sie. Warum fühle ich mich in seiner Gegenwart nur immer so unsicher?
Pierre stand auf. „Wir schauen uns zuerst die Weinberge an, und dann zeige ich dir, wo der Wein gemacht wird.“
Als Julie ihm nach draußen folgte, fiel ihr ein, dass sie jetzt seit dem verhängnisvollen Abend zum ersten Mal miteinander allein waren. Sie versuchte, die Erinnerung zu verdrängen. Wenn er nicht davon anfing, würde auch sie schweigen.
Aber es sollte nicht sein. Als sie hinter ihm den ersten Weinberg erklomm, drehte er sich um. „Na, sind die Kopfschmerzen verschwunden?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Sie schaute ihn böse an. „Ich dachte, wir wollten diesen Abend vergessen!“, sagte sie bissig. „Ich habe zu viel getrunken. Ich bin es eben nicht gewöhnt, und …“ Und was? Ihre Gedanken liefen im Kreis. Es lag nicht am Alkohol, aber ich kann ihm ja kaum gestehen, dass ich meine rasende Lust nicht beherrschen konnte!
„Und …?“, fragte er mit einem unschuldigen Lächeln.
Wenn er ein Gentleman wäre, würde er mich nicht so quälen, dachte Julie wütend. Er hat mich ja schließlich auch geküsst!
„Egal, was du von mir denkst, ich bin auch nur eine Frau mit einem ganz normalen Sextrieb.“ Sie hielt die Luft an – das hatte wieder ganz anders geklungen als von ihr gedacht. „Ich meine – ach verdammt, können wir nicht einfach so tun, als sei es nie passiert? Ich verspreche, es wird nie wieder vorkommen!“
Pierre lachte laut auf.
So ein verdammter Kerl! Er genießt es richtig!
„ Quel dommage – das ist wirklich schade!“, rief er. „Noch nie hat mich eine Frau so voller … so voller Ernst geküsst. Das ist neu für mich.“
Julie erschrak. Was meinte er damit? Ahnte er, was
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