JULIA COLLECTION Band 11
Stunden kein Entrinnen vor ihm.
Nun war er froh darüber, dass seine Mutter seinen Privatjet für eine kurze Heimreise nach Griechenland beschlagnahmt hatte und jedes andere Gefährt seiner Privatflotte bereits im Einsatz oder aus diesem oder jenem Grund außer Betrieb war.
So etwas geschah nicht zum ersten Mal, aber bisher hatte er stets einen Flug chartern können. Diesmal jedoch waren seine üblichen Quellen ausgebucht, sodass er einen Linienflug hatte buchen müssen. Zunächst war es ihm als große Unannehmlichkeit erschienen, zumal er nicht einmal einen Direktflug aus Kalifornien bekommen hatte.
Doch dann war sie an Bord gekommen, und augenblicklich waren all seine Ressentiments verschwunden. Sie war köstlich, diese Avis Lorimer – hübsch und gut gebaut, feminin und sanft, auf natürliche Weise elegant und erfrischend kapriziös.
Er war überzeugt, dass sie ein Single war, und er vermutete sogar, dass sie entgegen ihrer Behauptung niemanden in London treffen wollte.
Er signalisierte der Stewardess, dass er noch ein Glas von dem ausgezeichneten Rotwein wünschte, den er aus seinen eigenen Beständen hatte an Bord bringen lassen. Dann lehnte er sich zurück und wartete.
Über zwei Stunden vergingen, bevor Avis Lorimer es leid wurde, aus dem Fenster zu blicken. Er runzelte die Stirn, als sie durch die Filme zappte, die an Bord gezeigt wurden. Doch dann wandte sie sich vom Bildschirm ab und griff zu dem Bordmagazin.
Hastig beugte er sich zu ihr und reichte ihr seine Lokalzeitung. Er lächelte flüchtig, als sie ihn misstrauisch anblickte. „Da ist ein interessanter Artikel über ausländische Immobilien drin.“
„Oh?“
„Die Preise in London sind erstaunlich hoch.“
„Wirklich? Dann ist es ja gut, dass ich nicht kaufen will.“
„Ich habe mich mehr für den Artikel über die Tourismusbranche interessiert“, fuhr er im Plauderton fort. „Sie steckt in einer Krise. Aber wir unterstützen sie wenigstens. Sie und ich.“ Als sie ihm schließlich die Zeitung abnahm, fügte er hinzu: „Ach ja, und das wöchentliche Kinoprogramm steht auch drin.“
„Für London?“, hakte sie zweifelnd nach.
„Nein, das nicht. Aber ich finde auch, dass man in London eher ins Theater gehen sollte.“
„Wirklich? Sie scheinen sich dort sehr gut auszukennen.“
Spontan stand er auf und sank auf den Platz neben ihr. Sie wich ans Fenster zurück, aber davon ließ er sich nicht abschrecken. „London hat Dutzende von Theatern, aber das ist ja angesichts der Geschichte auch nicht verwunderlich.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. „Angefangen mit Shakespeare, nehme ich an.“
Er lächelte. „Wir könnten noch weiter zurückgehen.“
Ihre Augen funkelten humorvoll. Sie waren von einem ungewöhnlich dunklen Blau. „Ich glaube, das ist nicht nötig.“
Er schmunzelte. „Gut. Sagen wir einfach, dass Theaterbesuche schon immer zum bevorzugten Zeitvertreib der Briten gehörten. Wussten Sie, dass einige Häuser in den Pausen noch immer Verkäufer mit Bauchläden ins Publikum schicken? Theater mit Eiscreme und Popcorn. Das ist bezaubernd.“
Sie entspannte sich ein wenig. „Das klingt, als hätten Sie schon viele Theaterstücke gesehen.“
Er nickte. „Ich liebe die großen alten Theatersäle mit ihrer verblichenen Eleganz ebenso wie das experimentelle Theater, wo winzige Räume voll gestopft sind mit billigen Tischen und Stühlen und Bier ausgeschenkt wird. Das ist der Inbegriff von London.“
„Wie meinen Sie das?“
„Na ja, es ist anders als in Griechenland, wo die Antike allgegenwärtig ist, oder in Kalifornien, wo nur der neueste Schrei zählt. London ist genauso mit dem Gestern wie mit dem Morgen verwurzelt.“
Einen Moment starrte sie ihn nur an. Dann lächelte sie schüchtern, und ihre vollen Lippen, die Verheißungen dieser Lippen, riefen Verlangen hervor. „Sie kennen London offensichtlich sehr gut.“
Lucien zwang sich, den Blick von ihrem Mund zu lösen, und räusperte sich. „Ich kenne viele Orte gut.“
„Also reisen Sie viel?“ Als er nickte, lehnte sie sehnsüchtig den Kopf zurück an das Polster und seufzte. „Ich wollte immer verreisen.“
„Und jetzt werden Sie es tun“, sagte er und hoffte, dass es nicht so klang, als würde er ihre Zukunft planen – was sich sehr wohl ergeben konnte, zumindest auf kurze Sicht, wenn alles so lief wie erhofft. In Gedanken ging er seinen Reiseplan für die nächsten Monate durch: Buenos Aires, Bonn, Seattle, Toronto, Orlando, Chicago. Er konnte
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