JULIA COLLECTION Band 11
stolz. „Allerdings hatten wir hier keinen Ball mehr seit Mr. Luciens Hochzeit.“
Eine dunkel getäfelte Bibliothek enthielt Hunderte von Büchern mit kostbaren Ledereinbänden, mehrere massive Schreibtische und einen handgemalten Globus in der Größe eines Fesselballons. Die übrigen Räume waren weniger formell eingerichtet. In einem befanden sich ein Billardtisch und eine Bar, im nächsten bequeme Polstermöbel und ein großer Flachbildfernseher.
An der Rückseite des Hauses wurde der Flur von einem zweiten Korridor gekreuzt. Mrs. Baldwin erklärte: „Links geht es zur Küche, den Personalquartieren und der Garage, geradeaus zum Treppenhaus.“ Sie öffnete eine reich verzierte Gittertür aus Messing. „Und hier hat Mrs. Eugenia einen Lift einbauen lassen. Das war früher mal ein Vorratsraum.“
Verwundert, dass ein Privathaushalt über einen Fahrstuhl verfügte, folgte Avis ihr in die geräumige Kabine. „Wer ist Mrs. Eugenia?“
„Luciens Mutter.“ Mrs. Baldwin drückte einen Knopf. „Sie kennen sie also noch nicht.“ Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.
„Nein.“
„Umso besser.“
Der Lift hielt an. Mrs. Baldwin öffnete die Tür und trat in einen kleinen Vorraum, von dem ein langer und ein kurzer Korridor abzweigten. Sie überquerte den kürzeren Flur und öffnete eine Doppeltür zu einer entzückenden Suite, die in Gold und Blau gehalten war. Der Salon war vornehm eingerichtet. Mit weißem Damast bezogene Sessel und Couchen waren vor einem weißen Marmorkamin arrangiert. Das Schlafgemach war ebenfalls in Gold und Blau eingerichtet, wies aber karmesinrote Akzente auf, wie in Form einer Seidendecke auf dem breiten Bett und einer großen Bodenvase aus Kristall mit Dutzenden von roten Rosen.
Mit offenem Mund blieb Avis mitten im Raum stehen und schaute sich um, ohne wirklich auf das Geplapper der freundlichen Haushälterin zu achten. Eine gesamte Wand bestand aus Glas. Auf der Fensterbank lag ein dickes Polster, das mit rotem Samt bezogen war, und die schweren Gardinen bestanden ebenfalls aus diesem Stoff.
„Sie haben einige sehr schöne Kleider“, verkündete Mrs. Baldwin, die im angrenzenden Ankleidezimmer verschwunden war.
„Danke.“
Sie erschien mit dem saphirblauen Kleid in der Tür. „Das hier ist besonders entzückend. Sorgen Sie dafür, dass er Sie an einen Ort führt, der diesem Schmuckstück gerecht wird.“
Avis lachte und drehte sich um Kreis. „Ich denke, das hat er schon getan.“
„Ach, Unsinn. Das ist gar nichts. Er ist reich wie Midas, wissen Sie.“
„Ich beginne es zu ahnen.“
„Bis jetzt wussten Sie es also nicht?“
„Na ja, ich wusste schon, dass er nicht arm wie eine Kirchenmaus ist, aber das hier …“ Hilflos zuckte Avis die Achseln. „Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich dem gewachsen bin.“
„Unsinn. Sie tun ihm sehr gut. Er arbeitet viel zu viel, seit seine Frau tot ist.“
„Sie kennen ihn anscheinend schon sehr lange.“
„Er war ein Wurm von vier Jahren, als er das erste Mal durch diese Haustür kam“, erwiderte Mrs. Baldwin. „Seitdem liebe ich ihn wie meinen eigenen Sohn. Ich dachte, es wäre dasselbe mit Nicholas, aber …“ Sie verstummte mit erschrockener Miene.
„Ich weiß von seinem Sohn“, erklärte Avis.
„Das Kind kommt nie aus San Francisco heraus“, bemerkte Mrs. Baldwin missbilligend. Dann räumte sie widerstrebend ein: „Na ja, es ist wohl am Besten so.“ Damit verschwand sie wieder im Ankleidezimmer. „Ich packe jetzt Ihre Sachen aus. Vielleicht möchten Sie sich dann die Küche ansehen? Ich wette, dass Sie hungrig sind. Ich habe ihm gesagt, dass Gebäck und Obst ein armseliger Ersatz für Eier mit Schinken ist, aber hört er auf mich? Hat er je auf mich gehört?“
Avis lächelte nur und blickte sich erneut um. Es war eine völlig andere Welt und in gewisser Weise beängstigend. Plötzlich fröstelte sie. Dann schüttelte sie den Kopf. Was hatte sie schon zu befürchten? Sie war überzeugt, dass weder Lucien noch irgendwer sonst in seinem Haushalt ihr etwas antun würde, und doch hatte sie irgendwie das Gefühl, dass sie einen Fehler begangen hatte. Flüchtig spielte sie mit dem Gedanken, in ihr Hotel zurückzukehren. Doch die Höflichkeit verbot es ihr, ihrem Gastgeber ohne ein Wort der Erklärung zu entwischen.
„Wenn sie mich weiter so füttert, passe ich bald nicht mehr in meine Kleider“, beklagte Avis sich. Die vergangene Woche war von Vergnügungen erfüllt gewesen, zu denen auch
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