JULIA COLLECTION Band 11
Wesentlichen. Sierra meint, dass du ihr aus dem Weg gehst.“
Avis warf die Hände hoch. „Das ist nicht wahr! Ich habe nur viel zu tun und …“ Sie verstummte, stützte die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände. „Na gut, ich gehe ihr aus dem Weg. Nicht, weil mir nichts an ihr liegt oder ich sie – oder Val nicht sehen will. Aber Sierra hat jetzt Sam und Val hat Ian, und ich fühle mich einfach …“
„Ausgeschlossen“, warf Gwyn ein. „Einsam.“
„Nein. Ich bin gern allein. Es ist nur … ach, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist.“
Mitfühlend legte Gwyn ihr eine Hand auf den Arm. „Schon gut, Honey, ich wollte damit nicht sagen, dass du isoliert bist oder so. Schließlich hast du ja uns, vor allem mich. Aber irgendwas bedrückt dich. Komm schon, sag es mir.“
Avis seufzte. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es ist alles so verwirrend.“
„Warum fängst du nicht mit London an?“
Avis blickte scharf auf, doch bevor sie antworten konnte, trat eine Kellnerin an den Tisch und nahm die Bestellung auf – zwei Salate und eine Familienpizza mit Ananas.
„Also, erzähl mir von London, und ich meine nicht den Buckingham Palace“, drängte Gwyn, sobald sich die Kellnerin wieder entfernt hatte.
„Wie kommst du darauf, dass es irgendwas mit London zu tun hat?“
„Ach, ich weiß nicht. Vielleicht weil du als die alte Avis, die wir immer kannten, hingefahren und irgendwie verändert zurückgekommen bist.“
Sanft murmelte Avis: „Ich habe einen Mann kennengelernt.“
„Das hätte ich mir denken sollen.“
„Wie meinst du das?“
Gwyn lächelte. „Es ist doch klar, dass du an der Reihe bist. Zuerst hat Val ihren Mann fürs Leben gefunden und dann Sierra. Du bist natürlich die Nächste, und ich gehe auch diesmal wieder leer aus.“
„Nein, darum geht es gar nicht. Ich will keinen Mann. Das weißt du.“
„Ich weiß, dass du das glaubst.“
„Es ist wirklich so.“
„Erzähl mir einfach davon.“
Avis nickte. Eigentlich hatte sie beabsichtigt, niemandem zu verraten, was in London geschehen war. Es hatte ihr kleines Geheimnis bleiben sollen. Aber irgendwie konnte sie ihre Erinnerungen nicht genießen. Vielleicht änderte sich das, wenn sie sich jemandem anvertraute. „Aber es muss unter uns bleiben“, verlangte sie. „Wir haben uns im Flugzeug kennengelernt. Er ist Witwer, halb Grieche und sieht tatsächlich so wundervoll aus wie eine dieser antiken Marmorstatuen. Er ist reich, charmant, sechsunddreißig, und ich war bis auf die erste Nacht bei ihm.“
Mit großen Augen entgegnete Gwyn: „Er muss was ganz Besonderes sein. Normalerweise lässt du alle Männer abblitzen.“
„Das ist gar nicht wahr.“
„Doch. Ein Mann, der dich fasziniert, muss schon was zu bieten haben. Komm schon, erzähl mir alles.“
Unwillkürlich verriet Avis mehr, als sie beabsichtigt hatte. Die Salate kamen und dann die Pizza, doch das hemmte nicht ihren Redefluss. Als sie fertig war, fühlte sie sich irgendwie anders. Ihr war wärmer, so als wäre sie all die vergangenen Wochen erstarrt gewesen. Doch es erwies sich als zweischneidiges Schwert, denn all die unterdrückten Gefühle brachen hervor. Sie seufzte. „Na ja, es war ein Urlaubsflirt, und jetzt ist alles vorbei.“
„Warum?“
„Weil ich auf Urlaub war. Es war an der Zeit, nach Hause zu kommen. Ich musste es beenden.“
„Ich glaube nicht, dass es für dich wirklich vorbei ist“, entgegnete Gwyn.
„Doch. Niemand hat mich gezwungen zu gehen. Ich selbst habe den Zeitpunkt gewählt und den Flug gebucht.“
„Wo liegt dann das Problem?“
„Das weiß ich nicht.“
Gwyn beugte sich eindringlich vor. „Er fasziniert dich, und das macht dir Angst angesichts deiner Vorgeschichte. Aber du hast dir schon genügend Vorwürfe wegen der Sache mit Kenneth gemacht. Du hast dir nichts vorzuwerfen. Du warst ja fast noch ein Kind. Ich weiß, dass du dich schuldig fühlst. Ich weiß, dass dein Bruder dir die Schuld gegeben hat. Aber du hast so gehandelt, wie du es in der damaligen Situation für richtig gehalten hast, und du hast dafür einen hohen Preis bezahlt. Vertraue auf das, was du daraus gelernt hast.“
„Genau das tue ich ja. Deswegen bin ich nach Hause gekommen.“ Avis seufzte. „In gewisser Weise war Lucien ein noch größerer Fehler als Kenneth.“
„Wenn dem so ist, warum trauerst du ihm dann nach?“ Gwyn lächelte mitfühlend. „Es muss dich gewaltig erwischt haben.“
Avis blinzelte Tränen
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