JULIA COLLECTION Band 16
wählerisch, und sie versuchte auch nicht, das zu leugnen. Ein One-Night-Stand war überhaupt nicht ihr Fall, und zu einer festen Beziehung konnte sie sich noch nicht durchringen. Also konnte sie, was das Thema Sex betraf, zurzeit nicht wirklich mitreden.
Meistens machte ihr das nichts aus. Sie war ausreichend mit den wohltätigen Organisationen beschäftigt, um die sie sich kümmerte. Es waren mehr, als sie zählen konnte, ihre Fähigkeiten als Finanzexpertin waren schließlich legendär. Wegen ihres fantastischen Talents in Gelddingen hatte man ihr auch vor drei Jahren die Zügel des Familienimperiums übergeben.
Ihr Abstecher zu Donnas Geschäft sollte ihr erster Urlaub seit Jahren werden. Die meisten Leute würden zwar die Arbeit in einer kleinen Buchhandlung kaum als Urlaub bezeichnen, aber für Sally war es ein wirkliches Vergnügen. Nun ja, wenn da nicht Aidan Reilly gewesen wäre.
Die seltsame Situation bewies nur ein Mal mehr, dass das Schicksal einen Sinn für Humor hatte. Es versetzte eine Frau, die schon viel zu lange ohne Sex auskommen musste, ausgerechnet an einen Ort, an dem sich der aufregendste Mann aller Zeiten aufhielt – um keinen Sex zu haben. Das war wirklich reine Ironie.
Aidan zuckte zusammen, als er den herrlich kühlen Laden betrat, und blieb an der offenen Tür zwischen Geschäft und Küche stehen. Kinder lachten, weinten und plapperten. Ihre Mütter unterhielten sich, ohne sich des höllischen Lärms überhaupt bewusst zu sein, und Aidan stand da und wünschte sich, er wäre irgendwo auf hoher See.
Er hatte nie so richtig verstehen können, warum Menschen sich Kinder zumuteten. Ihm kamen sie eher wie winzige Anker vor, die sich mit langen, schweren Ketten an einen Mann hängten und ihn zu sich herunterzogen. Außerdem waren sie viel zu laut.
Er war nur hereingekommen, weil er den Hauptteil seiner Konstruktion fertiggestellt hatte und Sally einen Blick darauf werfen sollte. Aidan lachte insgeheim über sich. Er brauchte ihre Meinung natürlich nicht wirklich. Er hatte die Entwürfe und die grundlegende Idee schon oft genug mit Donna besprochen, die sich bereits mit allem einverstanden erklärt hatte.
Was er wirklich wollte, war, selbst einen Blick auf die Frau zu werfen, deren Gesicht ihn in den letzten ein, zwei Nächten im Traum heimgesucht hatte. Sein gut entwickelter Selbsterhaltungstrieb drängte ihn zwar, auf jeden Fall Abstand zu halten, aber sein risikofreudiger Instinkt war stärker. Deswegen stand Aidan jetzt sozusagen kniehoch zwischen krakeelenden Bälgern und wartete ungeduldig darauf, Sally Evans zu Gesicht zu bekommen.
Und dann war sie da. Sie bewegte sich durch das Meer von Kindern wie ein schlankes Segelboot durch die raue See. Sie schenkte jedem lärmenden kleinen Ungeheuer ein Lächeln und schien von dem Geräuschpegel völlig unbeeindruckt zu sein.
Sie setzte sich an einen Platz, der von den warmen Strahlen der nachmittäglichen Sonne beschienen wurde, dann versammelten sich die Kinder vor ihr auf dem Boden. Allmählich wurde es ruhiger, Gekicher und Geplauder ließen nach und verschwanden schließlich ganz, als Sally ein Buch in die Hand nahm und anfing zu lesen. Ihre Stimme hob und senkte sich im Rhythmus der lustigen Geschichte, und Aidan ging es genau wie den Kindern – er musste Sally die ganze Zeit ansehen.
Sie hielt das bunte Buch immer wieder hoch, um die Bilder zu zeigen, und die Kinder lachten begeistert, wenn Sally für die verschiedenen Figuren der Geschichte ihre Stimme verstellte. Sie ist wirklich etwas Besonderes, dachte Aidan. Doch während ein Teil von ihm sie bewunderte, raunte ein anderer Teil ihm zu, dass er sich bloß in Acht nehmen sollte. Wenn er auch nur einen Funken Verstand besaß, sollte er jetzt sofort das Weite suchen. Er hatte neun lange Wochen der Versuchung widerstanden, er würde doch jetzt nicht wegen einer Blondine mit aufregenden Rundungen und faszinierenden Augen die Wette verlieren.
Er schloss sekundenlang seufzend die Augen. Faszinierend? Guter Gott, um ihn stand es wirklich nicht sehr gut.
Die Kinder lachten wieder, und Aidan riss sich mühsam aus seiner Verzauberung. Seinen Einfall konnte er vergessen. Es war sowieso besser, wenn er Sally nicht um ihre Meinung bat, und noch sehr viel besser, wenn er ihr, so gut wie möglich, aus dem Weg ging. Er würde sich einfach wieder nach draußen schleichen, den Rohentwurf für das Schloss in den Lagerraum tragen und sich aus dem Staub machen, als wäre der Teufel hinter ihm
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