JULIA COLLECTION Band 16
lauter und drohender wurde, je näher es kam. Sally erschauderte wieder, und sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Über ihren Köpfen zuckten Blitze hinter den Wolken, wie eine kleine Vorwarnung und ein Vorgeschmack auf Schlimmeres.
Aber Sally vergaß das Gewitter völlig, als ein großes Motorrad näher kam und vor ihnen am Straßenrand anhielt. Im schwachen Licht der Abenddämmerung glitzerten die sauberen Chromteile, und das Schimmern der schwarzen Lackierung war schön wie die Sünde.
Apropos Sünde …
Aidan Reilly saß auf seinem Motorrad und stellte die Füße, die in Stiefeln steckten, fest auf den Boden, während er Sally unverwandt ansah.
„Das nenne ich aber ein Gewitter, Süße“, sagte Selma leise zu Sally. „Ein wirklich heftiges.“
Sally hörte sie kaum. Ihr stockte der Atem bei Aidans Anblick, ihr Herz pochte wie wild, und ihr Körper schien innerlich in Flammen aufzugehen.
Aidan trug eine ausgeblichene Jeans und die abgewetzten Cowboystiefel, die er auch an dem Tag getragen hatte, als Sally ihn kennengelernt hatte. Sein schwarzes T-Shirt spannte sich über der breiten Brust, dass es schien, als wäre es ihm eine Nummer zu klein. Nicht dass Sally sich beschweren wollte. Er hatte eine dunkle Sonnenbrille aufgesetzt, die seine Augen völlig vor ihr verbarg, und er sah irgendwie gefährlich aus. Sally konnte sich allerdings nicht erklären, warum sie das dachte.
Ihr Magen zog sich nervös zusammen, und sie schluckte mühsam, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. Dann lächelte Aidan, und Sally wurden schlagartig die Knie weich. Lieber Himmel, das konnte nicht gut ausgehen.
„Guten Abend, Miss Wyatt“, sagte er mit einer Stimme, die so tief war und so vibrierte wie der Motor der Maschine unter ihm.
„Aidan“, sagte Selma mit einem Lächeln und einem Kopfnicken. „Bist du gekommen, um dir von mir die Zukunft voraussagen zu lassen?“
Er lachte. „Aber Sie wissen doch, dass ich Überraschungen liebe, Miss Wyatt.“
„Dann lasse ich euch beide besser allein“, sagte sie noch und verschwand hinter der nächsten Straßenecke.
Sally merkte kaum, dass Selma gegangen war. Sie konnte nur daran denken, dass es einfach nicht fair war, dass ein Mann so unverschämt gut aussah. Und warum musste er ausgerechnet ein Motorrad besitzen?
„Sally!“
Sie blinzelte erschrocken und ließ sich nur äußerst ungern aus ihrem besonders interessanten Tagtraum wecken. Er musste schon eine ganze Weile versucht haben, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Gott, wie lächerlich konnte sie sich eigentlich noch machen?
Sie versteckte ihre Verlegenheit hinter einem spöttischen Lächeln und fragte Aidan nicht besonders höflich: „Und was tun Sie hier, Aidan?“
Er warf einen Blick zum Himmel, als ein lautes Donnern sich bemerkbar machte. Dann wandte er sich wieder Sally zu. „Ich habe nur gedacht, Sie würden sich vielleicht gern zu Donnas Haus fahren lassen.“
„Ich kann sehr gut zu Fuß gehen“, erwiderte sie und fing an, ihre Worte in die Tat umzusetzen. Je schneller sie etwas Abstand zwischen sich und Aidan brachte, desto besser – in jeder Hinsicht. „Aber trotzdem vielen Dank.“
Er folgte ihr, indem er auf dem Motorrad sitzend neben Sally die Straße hinunterrollte. „Es wird jeden Moment zu regnen anfangen“, gab er ruhig zu bedenken.
„Dann beeile ich mich besser, nicht wahr?“ Sally setzte einen Fuß vor den anderen und drängte sich innerlich, bloß nicht stehen zu bleiben und auf keinen Fall Aidan anzusehen.
Er lachte leise. „Sie sind ein solcher Dickkopf, dass Sie lieber nass werden, als sich von mir nach Hause fahren zu lassen?“
Sally warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Wieso? Auf dem Motorrad würde ich doch auch nass werden, oder?“
„Ja, stimmt schon“, gab er lächelnd zu, und prompt erschien das Grübchen, an das Sally ständig denken musste. „Aber Sie würden schneller vorankommen, und es würde vor allem größeren Spaß machen.“
„Langsames Vorwärtskommen kann auch Spaß bringen“, erwiderte sie nur knapp und fragte sich, warum sie plötzlich wie eine neunzigjährige Bibliothekarin klang.
„Aber ja doch. Bei gewissen … Tätigkeiten ist langsamer sogar sehr viel besser.“
Sally stolperte, als ganz bestimmte Tätigkeiten vor ihrem inneren Auge erschienen, die sie am ganzen Körper erschauern ließen. Lieber Gott, klang seine Stimme plötzlich wirklich tiefer und sinnlicher oder konnte Sally bei dem heftigen Klopfen ihres
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