Julia Extra 0353
Die Atmosphäre zwischen ihnen war angespannt, und Hannah war froh, als der Hubschrauber wieder in der Auffahrt landete.
Sie ging in ihre Suite und redete sich ein, dass sie allein sein wollte.
Aber das stimmte nicht.
Am liebsten wäre sie bei Zale gewesen. Zu gern hätte sie den Moment am Strand noch einmal erlebt: die Zärtlichkeit, die Nähe, die Leidenschaft.
Verzweifelt lief sie im Wohnzimmer ihrer Suite auf und ab. Zu gern hätte sie ihm gesagt, wer sie wirklich war.
Plötzlich riss sie ein leises Geräusch aus ihren Gedanken.
Sie lauschte: Jemand weinte. Und es klang so, als käme es aus ihrem Schlafzimmer.
Wie angewurzelt blieb sie stehen. Gerade wollte sie die Palastwache rufen, als sie das raguvanische Wort für Mama vernahm.
Jemand rief nach seiner Mutter.
Vorsichtig ging sie zur Schlafzimmertür und öffnete sie einen Spalt. Das Weinen wurde lauter.
„Mama, Mama.“
Sie öffnete die Tür ganz, und das Licht aus dem Wohnzimmer fiel auf eine Gestalt, die in einer Ecke auf dem Fußboden hockte.
Die Gestalt wiegte sich hin und her und hob schließlich den Kopf. „Mama?“
Es war die Stimme eines Kindes im Körper eines Mannes. Sofort wusste Hannah, wer es war: Prinz Constantine.
„Tinny?“, flüsterte sie, um ihn nicht zu erschrecken.
Er wischte sich übers Gesicht und sah sie hoffnungsvoll an. „Mama, da?“
Langsam ging sie auf ihn zu und hockte sich vor ihm hin. „Nein, deine Mama ist nicht da.“ Plötzlich hatte sie den Eindruck, das Herz würde ihr zerspringen. Mütter brauchten ihre Kinder. Und Kinder brauchten ihre Mütter. Aber manchmal wollte das Schicksal es eben anders. „Wollen wir Zale suchen?“
„Zale“, sagte Tinny. „Mein Bruder.“
„Genau. Komm, wir suchen Zale.“
Hannah rief einen Diener, der Mrs Sivka holen ging, weil Seine Majestät nicht auffindbar war.
Hannah saß mit Tinny auf der Couch, als es an der Tür klopfte.
Sie stand auf und öffnete die Tür. Vor ihr stand eine kleine, rundliche Frau, die Ende siebzig sein mochte. „Entschuldigen Sie die Störung, Königliche Hoheit, aber ich hörte, dass der Prinz hier ist.“
„Ja, ich habe Prinz Constantine in meinem Schlafzimmer entdeckt. Ich kann mir allerdings nicht erklären, was er hier gesucht hat.“
„Dies sind die Gemächer der Königin, Euer Hoheit.“
Hannah sah die ältere Frau verdutzt an. Dann verstand sie. Es war das Zimmer seiner Mutter. Der Prinz hatte sie gesucht. „Sie fehlt ihm immer noch.“
Die Frau lächelte traurig. „Er versteht nicht, warum sie nicht zurückkommt. Er hat nur noch Zale … ich meine, Seine Majestät. Wir haben von ihm gesprochen. Prinz Constantine bewundert seinen großen Bruder.“ Die ältere Frau schaute Hannah prüfend an. „Wahrscheinlich hören Sie es oft, aber Sie sehen Ihrer Mutter wirklich zum Verwechseln ähnlich.“
Hannah hielt den Atem an. „Sie haben sie gekannt?“
„Ja.“ Die ältere Frau schaute plötzlich besorgt. „Oh, ich glaube, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Mrs Sivka, das Kindermädchen Seiner Majestät.“
„Das Kindermädchen von König Patek?“
„Genau. Ich habe früher für alle Prinzenbabys der Familie Patek gesorgt. Seit dem Tod seiner Eltern kümmere ich mich um Prinz Constantine.“
„Bitte kommen Sie doch herein, und setzen Sie sich.“ Hannah zeigte zur Couch. „Ich würde gern mehr über die königliche Familie erfahren. Was für ein Kind war Seine Majestät? Hat er oft Dummheiten angestellt?“
Die Miene des Kindermädchens hellte sich auf. „Oh, ja. Aber das tun ja alle Jungen, und Prinz Stephen und Prinz Zale bildeten keine Ausnahme. Sie waren intelligente, lebhafte Kinder, die nichts als Unsinn im Kopf hatten. Prinz Stephen war allerdings nicht so gerissen wie Prinz Zale und wurde oft auf frischer Tat ertappt. Aber Seine Majestät war klein, flink und viel gewiefter.“
„Klein, flink und gewieft, Mrs Sivka?“ Zale war so leise ins Zimmer getreten, dass die beiden Frauen ihn nicht gehört hatten. „Das klingt nicht gerade schmeichelhaft.“
Mrs Sivka lächelte übers ganze Gesicht. „Sie waren ein ganz schöner Schlingel, Euer Majestät. Aber durch und durch liebenswert.“
Lachend ging Zale zu seinem Bruder und kniete sich vor ihm hin. „Tinny“, sagte er, plötzlich ernst. „Du darfst nie wieder von Mrs Sivka weglaufen. Du hast ihr einen gewaltigen Schrecken eingejagt.“
Tinny sah ihn mit aufgerissenen Augen an. „Tinny nur spielen.“
„Ich weiß. Aber du darfst
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