Julia Extra 0357
Becky noch Ideale und eine sehr naive Vorstellung von Richtig und Falsch.
Laura küsste das weiche dunkle Haar ihres Sohnes und versuchte, den Schmerz in den Griff zu bekommen, der ihr wie ein scharfes Messer ins Herz schnitt. „Wir haben doch schon so oft darüber gesprochen“, sagte sie leise.
„Wer ist er?“, insistierte Becky stur. „Schämst du dich seiner? Oder was gibt es sonst für einen Grund, dass du nicht über ihn reden willst?“
„Nicht so laut, Becky!“ Laura blickte unbehaglich zu den umstehenden Gästen, die ihnen bereits neugierige Blicke zuwarfen. „Ich sagte dir doch, dass …“ Sie seufzte, bevor sie zum wohl tausendsten Mal wiederholte: „Ich weiß nicht, wer er ist.“
Ihre Schwester sah sie mit Tränen in den Augen an. „Du lügst!“, warf sie Laura zornig und frustriert an den Kopf. „Nie im Leben würdest du einfach so in der Gegend herumschlafen. Oder hast du schon vergessen, dass du mich davon überzeugt hast, mit dem Sex zu warten, bis ich jemanden wirklich liebe?“
Mittlerweile taten die Leute in ihrer unmittelbaren Nähe nicht einmal mehr so, als ob sie sich unterhielten, sondern lauschten ganz offen ihrem Gespräch.
„Becky, bitte …“, flehte Laura mit gedämpfter Stimme.
„Er hat dich verlassen, und das ist nicht fair!“
„Da bist du ja, Rebecca!“
Wie ein rettender Engel stand plötzlich ihre Mutter vor ihnen. „Ich glaube, du hast Großtante Gertrude noch gar nicht gesehen. Willst du sie nicht begrüßen?“ Lächelnd streckte Ruth Parker die Arme nach ihrem Enkel aus. „Und unseren Robby wird sie ebenfalls kennenlernen wollen.“
Erleichtert übergab Laura den Kleinen ihrer Mutter und formte mit den Lippen ein stummes „Danke“. Ruth antwortete mit einem liebevollen Lächeln und einem unmerklichen Augenzwinkern. Dann ging sie mit ihrer jüngeren Tochter und ihrem Enkel den langen Flur hinunter.
Laura blickte ihr nach und spürte eine Woge der Liebe in sich aufsteigen. Ruth trug ihr bestes Sonntagskleid und hatte zur Feier des Tages sogar etwas Lippenstift aufgelegt, aber ihr früher so blühendes Gesicht wirkte blass und ausgezehrt, und sie hatte deutlich an Gewicht verloren. Es tat weh zu sehen, dass das vergangene Jahr auch an ihrer starken Mutter nicht spurlos vorübergegangen war.
Der Kloß in Lauras Hals wurde noch dicker, als sie an den Tag dachte, an dem sie in ihr Heimatdorf in New Hampshire zurückgekehrt war. Schwanger, arbeitslos und ohne die geringste Ahnung, wie es weitergehen sollte.
Würde ihre Familie je darüber hinwegkommen?
Oder sie?
Sie war gerade drei Wochen aus Rio de Janeiro zurück, als sie schockiert feststellte, dass sie ein Kind erwartete. Ihr besorgter Vater hatte sofort verlangt, den Namen des Vaters zu erfahren, aber die Angst, er könnte mitsamt seiner Jagdflinte den nächsten Flieger nach Rio besteigen, um Gabriel Santos zur Verantwortung zu ziehen, hatte Laura zu einer verzweifelten Notlüge greifen lassen.
Sie hatte ihren Aufenthalt in Rio als eine einzige Sexparty dargestellt und behauptet, sie habe keine Ahnung, wer der Vater sei. Dabei hatte sie in ihrem ganzen Leben nur einen einzigen Liebhaber gehabt, und auch das nur für eine Nacht.
Die allerdings unvergesslich gewesen war.
Nie würde Laura vergessen, wie ihr Boss sie gegen den Schreibtisch gedrückt und alles, was sich darauf befand, achtlos zu Boden gefegt hatte. Nach mehr als einem Jahr spürte sie immer noch die Hitze seines Körpers und sehnte sich nach seinen gierigen, leidenschaftlichen Küssen. Bis in alle Ewigkeit würde sie die Erinnerung daran verfolgen, wie rücksichtslos ihr Gabriel Santos ihre Unschuld genommen und wie bereitwillig sie sich ihm hingegeben hatte.
Als Laura ihm am nächsten Morgen unter Tränen mitteilte, dass sie nach dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, keine andere Möglichkeit sah, als ihren Job zu kündigen, hatte er nur die Schultern gezuckt und gesagt: „Ich hoffe, du findest, wonach du suchst.“ Mehr waren ihm fünf Jahre ihrer Liebe und hingebungsvollen Arbeit für ihn nicht wert gewesen.
Oh ja, sie hatte ihren Playboy-Boss fünf lange Jahre verzehrend geliebt, wenn auch ohne jede Hoffnung. Und es bestand nicht die geringste Aussicht, ihn jemals zu vergessen, da seine Züge ihr täglich aus dem Gesicht ihres Sohnes entgegenblickten.
Kein Wunder, dass die Tränen, die Laura vor einer Stunde in der kleinen weißen Kirche geweint hatte, nicht allein der Mitfreude mit ihrer Schwester Becky galten. Sie
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