Julia Extra 0357
hatte einmal von ganzem Herzen einen Mann geliebt, der ihre Gefühle nicht erwiderte. Doch manchmal, wenn der kalte Februarwind durch das Tal fegte, glaubte sie wieder seine tiefe, leicht raue Stimme zu hören.
Laura …
Sie sprach nur zu ihr, so wie gerade jetzt. Der Klang fuhr wie ein Stromstoß durch ihren Körper und mitten in ihr Herz, als würde er direkt neben ihr stehen.
„Laura!“
Dieses Mal schien die Stimme wirklich nah zu sein. Zu nah, um …
Laura atmete tief durch, drehte sich langsam um – und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Mitten in der überfüllten Diele ihrer Eltern stand Gabriel Santos wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Er war noch attraktiver, als sie ihn in Erinnerung hatte, und überragte in jeder Hinsicht sämtliche anwesenden Männer. Doch es waren weder seine markanten Gesichtszüge noch sein teurer italienischer Anzug, die ihn aus der Menge herausstechen ließen. Auch nicht seine Größe oder seine breiten Schultern.
Es war die unbarmherzige Intensität seiner schwarzen Augen.
„Gabriel …“, flüsterte Laura wie benommen.
Er verzog die sinnlichen Lippen zur Andeutung eines Lächelns. „Hallo Laura.“
Sie schluckte hart, presste tief die Nägel in ihre Handflächen, befahl sich, aus diesem Albtraum aufzuwachen, aber die verstörende Erscheinung vor ihr wollte sich einfach nicht in Luft auflösen.
„Du kannst nicht hier sein“, brachte sie mit einer Stimme hervor, die kaum mehr ihre war.
„Und doch bin ich es.“
Lauras Magen krampfte sich zu einem harten Knoten zusammen. Es war nicht richtig, dass er hier war – unter all diesen fröhlich schwatzenden Nachbarn und Familienmitgliedern, von denen jeder einen Beitrag zu dem bunt gemischten Buffet geleistet hatte.
Mit neununddreißig Jahren leitete Gabriel Santos ein weitverzweigtes Unternehmen, das Stahl und Bauholz in die ganze Welt verschiffte. Er war ein Adrenalinjunkie, immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Millionenschwere Geschäftsabschlüsse, lebensgefährliche Sportarten und die Jagd nach schönen Frauen waren sein Lebenselixier, und daran würde sich auch nie etwas ändern.
Was also tat er hier? Er konnte doch unmöglich …
Aus dem Augenwinkel sah Laura, wie ihre Mutter mit Robby auf dem Arm durch den Flur ging. Um ihre bebenden Hände unter Kontrolle zu bringen, schlang sie fest die Arme um ihr selbstgenähtes Brautjungfernkleid. Es dürfte Gabriel nicht schwergefallen sein, sie hier ausfindig zu machen, schließlich lebte ihre Familie seit vielen Generationen an diesem Ort. Sein plötzliches Auftauchen musste also nicht zwangsläufig mit ihrem Sohn zusammenhängen. Genau gesagt konnte es das gar nicht, da Gabriel nicht einmal wusste, dass Robby überhaupt existierte.
Oder vielleicht doch …?
„Freust du dich, mich wiederzusehen?“, fragte er sie nun und zog dabei leicht die dunklen Brauen hoch.
„Natürlich nicht !“, entgegnete Laura bissig. „Und falls du die 5000 Meilen hierher gereist bist, um mir zu sagen, dass ich nach Rio zurückkommen soll, um dir einen Knopf anzunähen oder einen Kaffee zu kochen …“
„Nein“, unterbrach er sie mit einer Spur von Ungeduld in der Stimme. „Deswegen bin ich nicht gekommen.“ Langsam ließ er den Blick durch die Diele schweifen, die mit pinkfarbenen Lichterketten und Girlanden aus roten Papierherzen dekoriert war. „Was wird hier überhaupt gefeiert?“
„Eine Hochzeit“, informierte Laura ihn steif.
Gabriel kniff die Augen zusammen und trat dicht an sie heran. „Und wer ist die Braut?“
„Meine kleine Schwester Becky“, antwortete Laura, erschrocken über seinen plötzlich scharfen Tonfall.
„Ach so …“ Seine Schultern entspannten sich unmerklich, dann runzelte er die Stirn. „Aber Becky muss doch noch ein halbes Kind sein.“
„Sie ist noch sehr jung, das ist wahr.“
Laura blickte an ihrem rosa Kleid herab, das im Schein des brennenden Kaminfeuers und der pinkfarbenen Lichterketten fast weiß aussah, und auf einmal begriff sie. Zögernd hob sie den Kopf, um Gabriel ins Gesicht zu sehen. „Hast du etwa gedacht, es wäre meine Hochzeit?“
„ É claro “, erwiderte er mit einer raschen Handbewegung. „Natürlich dachte ich das.“
Die Vorstellung war so absurd, dass Laura beinah laut aufgelacht hätte. „Wie du siehst, hast du dich getäuscht“, sagte sie und strich sich mit bebenden Händen das Kleid glatt.
„Dann gibt es zurzeit niemand Besonderen in deinem Leben?“ Er fragte es ganz
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