JULIA EXTRA BAND 0263
sagte kein Wort. Ihr Vater tauchte auf, als sie gerade zum ersten Mal hineinbiss, und zwei dunkle Augenpaare starrten sich an. Maria und Rox legten ruhig ihre Gabeln zur Seite und warteten ab.
Gino blickte sich um. Auf den Abendhimmel, der durch die Fenster sichtbar war. Auf den Dampf, der aus den Schüsseln stieg. Auf die drei Frauen an dem Tisch. Auf das Kochgeschirr, das darauf wartete, gespült zu werden.
Es ist eine großartige Küche, dachte Rox. Von der Decke hingen geflochtene Zwiebel- und Knoblauchzöpfe und getrocknete Kräuter, die noch von der Ernte des vergangenen Jahres übrig waren. Drei alte, stabile Holzregale enthielten wunderschöne toskanische Keramik und Gläser voll mit eingelegten Tomaten und Paprika. Ein uralter holzbefeuerter Eisenofen nahm die gegenüberliegende Ecke ein, und bereits leicht vergilbte Kochbücher mit vielen Eselsohren stapelten sich an der Wand über der rustikalen Arbeitsplatte.
Die glatte Perfektion des Speisesalons hatte rein gar nichts von der Wärme und Gemütlichkeit dieser Küche an sich, und an dem riesigen ovalen Rosenholztisch hatte Pia vermutlich das Gefühl, ihr Vater nehme seine Mahlzeit am anderen Ende des Monds ein.
Das kleine Mädchen biss ein zweites Mal in ihr Brötchen. Es war so knusprig, dass man ein lautes Krachen hörte. Sie starrte ihren Daddy mit großen Augen an, jedoch mittlerweile ohne jeden Trotz. Sie wartete einfach nur auf die Strafe für ihr Verhalten, und Rox hatte das merkwürdige Gefühl, dass beide – Vater und Tochter – in diesem Moment auf der Probe standen.
„Okay“, sagte Gino schließlich. „Wir werden heute Abend alle in der Küche essen.“
Maria sprang sofort auf. Zeigte sich da etwa ein kleines, zustimmendes Lächeln? Sie war bereits an der Tür, ehe Rox genauer hinschauen konnte. Rasch stand sie ihrerseits auf und sagte: „Setzen Sie sich doch, Gino. Ich werde Maria helfen, alles hereinzubringen.“
Auch Pia wollte helfen, und Gino hatte offensichtlich keine Lust, allein in der Küche zu bleiben, sodass sie innerhalb von ein, zwei Minuten alle Schüsseln und Teller herübergetragen und gedeckt hatten.
Es war so viel schöner als in der steifen Formalität des Speisesalons. Rox akzeptierte ein halbes Glas Rotwein, trank aber kaum etwas. Der Champagner war schon gefährlich genug gewesen.
Pia war als Erste mit dem Essen fertig, doch danach saß sie zufrieden auf dem Küchenboden und versuchte, die Knoblauchknollen zu Zöpfen zu flechten, die von der letzten Ernte übrig geblieben waren und die Maria ihr gegeben hatte. In der Zwischenzeit ließen sich die Erwachsenen Brot und Käse schmecken, tranken Kaffee und gönnten sich noch ein wenig Schokoladenkonfekt.
Natürlich hatte Pia für Letzteres auch noch Platz in ihrem Magen. Allerdings wollte ihr das Flechten des Knoblauchs nicht so recht gelingen – es schien in einem heillosen Durcheinander zu enden.
Rox hatte noch nie zuvor in ihrem Leben Knoblauch geflochten, aber sie konnte erkennen, wie es gemacht wurde. Ohne an so etwas wie Würde zu denken – um Harlan und Grund Nummer fünfzehn zu zitieren: „Du bist nicht würdevoll“ –, stand sie auf, beugte sich zu Pia hinunter und kniete neben ihr auf dem Boden.
„Es ist ein Muster, Pia, siehst du?“, sagte sie. „Von dieser Seite zur Mitte, von der anderen Seite zur Mitte, von dieser Seite zur Mitte, von der anderen Seite zur Mitte. Sing es wie ein Lied vor dich her, und du wirst es nicht vergessen.“
„Von dieser Seite zur Mitte, von der anderen Seite zur Mitte“, wiederholte Pia geduldig, zielstrebig und langsam.
Jetzt bekam sie es wunderbar hin – sie verfügte für ihr Alter über erstaunliches Fingergeschick und lernte unheimlich schnell –, aber sie vergaß, jeweils eine neue Knoblauchknolle hinzuzufügen, also half ihr Rox noch einmal und fügte zu ihrem Lied hinzu: „Von dieser Seite zur Mitte, von der anderen Seite zur Mitte, neue Knolle. Von dieser Seite zur Mitte, von der anderen Seite zur Mitte …“
Maria und Gino hatten sich anfangs über Haushaltsdinge unterhalten, und Rox bemerkte gar nicht, dass die beiden mittlerweilein Schweigen verfallen waren, oder dass Maria sich das ganze Prozedere anschaute, bis sie auf Italienisch sagte: „Das ist jetzt lang genug, Pia. Füg keine weiteren Knollen hinzu, Schätzchen. Es sind sowieso nur noch ganz kleine übrig. Es lohnt sich kaum, die aufzubewahren. Bring den Zopf einfach zu Ende. Der wird sehr schön neben den anderen
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